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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Als er losfuhr, sagte sie nichts mehr, sie stand nur da, winkte und sah aus, als würde sie jeden Moment einfach umfallen, weil ihr Herz sich weigerte weiterzuschlagen, wenn er nicht in ihrer Nähe war.
    Jetzt hielt er vor der Bar, um sich ein paar belegte Brötchen für die lange Fahrt zu kaufen, und wurde dieses Bild nicht mehr los. Daher überlegte er ernsthaft umzukehren. Einfach in Italien zu bleiben, so weiterzuleben wie bisher und zu versuchen zu vergessen. Bestimmt würde irgendwann auch das Bild des Dr. Kerner in seiner Erinnerung verblassen.
    Es war ganz einfach. Er brauchte nur den Motor zu starten, zurück nach La Passerella zu fahren, und nichts würde geschehen. Die Leiche würde in Kürze beerdigt sein, er hatte keine Schwierigkeiten bekommen, die Carabinieri hatten sich mit seiner Schilderung zufriedengegeben, obwohl er genau wusste, dass Alfonso seine Zweifel hatte.
    Alles war gut. Er sollte es nicht aufs Spiel setzen.
    FAHR ENDLICH LOS!
    Sofia tut mir so leid.
    FAHR!
    Sie war also wieder da. Sagte ihm, was zu tun war, und nahm ihm die Entscheidungen ab.
    Er betrat die Bar, kaufte drei belegte Brötchen mit Schinken und Käse und machte sich auf den Weg nach Deutschland.
    Kurz hinter dem Brenner hatte er eine heftige Müdigkeitsattacke und wäre beinah am Steuer eingeschlafen, daher bog er unmittelbar nach der deutschen Grenze auf die Landstraße ab und suchte sich ein Hotel.
    Er bekam ein kleines Zimmer in einem ländlichen Gasthof mit einem winzigen Balkon, einem Trockenblumenstrauß auf dem Tisch und einem zu kurzen Bett. Aber er spürte ein undefinierbares Gefühl von Freiheit, obwohl er Sof ia vermisste. In seinem früheren Leben hatte er in allen Ritz Carltons, Steigenbergers, Radissons, Intercontis und Hiltons dieser Welt übernachtet, hatte sich aufgeregt, wenn der Prosecco in der Minibar fehlte, im Badezimmer ein Haar zu finden war, die Nachttischlampe nicht brannte und der bestellte Salat eher als Dekoration denn als Zwischenmahlzeit zu bezeichnen war. Er hatte sich auf höchstem Niveau aufgeregt, und jetzt war er in diesem primitiven Zimmer, das sicher keinem Zwei-Sterne-Standard entsprach und weit davon entfernt war, überhaupt über eine Minibar zu verfügen, absolut zufrieden.
    Das Leben kann so einfach sein, dachte er und ging hinunter zur Rezeption, um sich zwei Bier zu holen, die der Pförtner an Ort und Stelle öffnete. Er bot noch an, ein Glas aus der Küche zu besorgen, Jonathan lehnte jedoch dankend ab. Vielleicht in Erinnerung an vergangene Zeiten, als er wochenlang nur aus der Flasche getrunken hatte.
    Diagonal im Doppelbett liegend, trank er das Bier in kleinen Schlucken und merkte, wie die Müdigkeit langsam in ihm hochkroch und binnen einer Stunde seinen ganzen Körper erfüllte. Er fühlte sich so schwer, als drückten ihm Sandsäcke auf Brust und Beine, und konnte sich nicht mehr wehren. Er vergaß sogar, Sofia anzurufen, und schlief einfach ein. Ohne sich auszuziehen, ohne sich die Zähne zu putzen, ohne das Licht zu löschen und ohne daran zu denken, was er noch vor sich hatte.
     
    Der Morgen war hell und klar. Vor den Bergen hing eine dünne Nebelschnur, Relikte der Nacht und ohne Bedeutung für das Wetter des Tages. Der Autoradiowetterbericht hatte ein stabiles Hoch sowohl über Italien als auch über Österreich und Deutschland angesagt, und Jonathan atmete auf dem Balkon, der so schmal war, dass kaum ein Stuhl darauf passte, die frische kühle Morgenluft tief ein. Anschließend duschte er kurz und fuhr nach einem frustrierend kargen Frühstück weiter.
    Während der gesamten Fahrt sprach die Stimme kein Wort.
    Um sechzehn Uhr passierte er den Berliner Bären, der auf dem Mittelstreifen der Autobahn stand und anzeigte, dass jetzt das Berliner Stadtgebiet begann. Er fuhr bis zum Funkturm und verließ dann die Autobahn. Es war Jahre her, aber er glaubte sich an eine kleine verschwiegene Pension in Wilmersdorf zu erinnern. Er wollte seine Ruhe haben, ein Hotel ohne Rezeption.
    Jonathan fand die Pension auf Anhieb. Er klingelte, aber niemand öffnete. Auf dem messingfarbenen Pensionsschild war eine Telefonnummer eingraviert, die er mit seinem Handy anrief.
    »Ich komme sofort«, sagte eine erfreute Frauenstimme. »In zehn Minuten bin ich da.«
    »Kein Problem, ich warte.« So hatte er sich das vorgestellt. Wahrscheinlich musste er eine gewisse Zeit im Voraus bezahlen, bekam einen Haus-und einen Zimmerschlüssel und konnte kommen und gehen, tun und lassen, was er

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