Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
ignorieren.
    »Ein Gast ist die Steintreppe zum Pool runtergefallen und hat sich den Hinterkopf aufgeschlagen. So unglücklich, dass er daran gestorben ist. Jonathan und Sofia sind völlig verstört, das kannst du dir vorstellen.«
    »Er ist rückwärts runtergefallen?«
    Neri nickte. »Davon gehen wir aus.«
    »Wieso das denn?«, bohrte Gabriella. »Ich kenne die Treppe. Wenn man sie runtergehen will und dabei stolpert oder danebentritt, dann fällt man sie vorwärts runter. Da kann man sich vielleicht noch mit den Armen abfangen und bricht sich die Handgelenke. Aber kein Mensch fällt rückwärts!«
    »Er ist aber rückwärts gefallen! Mein Gott, wir waren ja nicht dabei! Vielleicht ist er die Treppe raufgegangen und rückwärts runtergefallen. Oder er hat sich in der Luft gedreht?«
    »Dazu ist die Treppe zu kurz, Tesoro. Es sind fünf oder sechs Stufen.«
    »Neun.«
    »Gut, dann eben neun. Egal. Aber da kann man keine Pirouetten drehen. Und wenn man rückwärts runterfällt, wurde man wahrscheinlich von oben gestoßen, Neri. Darüber solltest du dir mal ein paar Gedanken machen.«
    »Wenn du meinst.« Neri wurde schon wieder ungehalten. Es war fürchterlich. Gabriella wusste immer alles besser. »Jedenfalls ist er auf den Hinterkopf gefallen, lag auf dem Rücken und gab keinen Mucks mehr von sich. Und so hat ihn Jonathan gefunden, als er nach der Wasserpumpe sehen wollte.«
    »Es ist doch wurscht, ob Jonathan die Pumpe reparieren, Blumen gießen oder in der Nase bohren wollte! Wichtig ist, dass kein Mensch ohne Grund rückwärts eine Treppe runterfällt. Wenn man beim Hochlaufen ins Straucheln kommt, fällt man die Treppe rauf. Und dabei passiert nicht viel. Das musst du dir mal überlegen, und da würde ich nachhaken.«
    »Wie denn ›nachhaken‹?«
    »Na, ermitteln eben. Das ist schließlich dein Job!«
    Neri spürte, dass der Zorn wie giftige Galle in ihm hochstieg. »Herrgott nochmal, Gabriella! Der Mann war allein! Seine Frau war einkaufen gefahren. Wer sollte ihn denn da schubsen? Gianni vielleicht? Du musst nicht überall Gespenster und Meuchelmörder sehen. Es gibt auch ganz verfluchte, aber stinknormale Unfälle auf der Welt!«
    »Er hat ihn nicht tot gefunden«, sagte Gianni in einen Moment der Stille, und alle zuckten erschrocken zusammen, weil es Monate, gefühlte Jahre her war, dass sich Gianni an einem Gespräch beteiligt hatte.
    »Wie meinst du das?«, stotterte Neri.
    »Ich meine, dass er ihn nicht tot gefunden hat.« Gianni verdrehte die Augen. So ein einfacher Satz müsste doch eigentlich zu verstehen sein. »Jonathan war bei ihm, und der Tote hat geschrien.«
    »Hast du das gesehen?«
    »Nee, nur gehört. Ich war da noch zu weit weg. Aber es war ziemlich laut.«
    »Wie hörte sich das denn an?« Jetzt stellte Gabriella die Fragen.
    »So wie man wahrscheinlich schreien würde, wenn man ohne Narkose operiert wird.«
    Gabriella sah ihren Mann eindringlich an und beugte sich ein Stück näher zu ihm vor. »Schreit man, wenn man die Treppe runtergefallen ist, Neri?«
    Neri zuckte die Achseln. »Was weiß ich? Ich bin noch keine Treppe runtergefallen. Der eine schreit, der andere nicht. Das ist wahrscheinlich ganz unterschiedlich.«
    »Blödsinn. Man schreit nicht! Man liegt da und hat einen Schock. Und auch wenn man sich sonst was gebrochen hat – der Körper empfindet im ersten Moment noch keinen Schmerz. Man weiß, dass etwas Fürchterliches mit einem passiert ist, aber man kann es noch nicht verstehen. Auf jeden Fall schreit man nicht. Erst später, wenn die Schmerzen einsetzen.«
    »Und das weißt du alles?«
    »Ja, das weiß ich, weil ich als Kind nämlich mal aus dem fahrenden Bus gefallen bin und mir ein Bein gebrochen habe.«
    »Mein Gott, Kind, das ist ja schrecklich! Davon hast du mir nie etwas erzählt!«, krähte Oma dazwischen, aber niemand kümmerte sich darum.
    »Das kann ja alles sein, Gabriella. Tatsache ist jedenfalls, dass dieser Dr. Kerner geschrien hat. Punktum.«
    »Und genau das finde ich merkwürdig. Normalerweise schreit ein Mensch nur, wenn er extreme Angst hat, in Panik ist, auf sich aufmerksam machen will oder Fürchterliches erwartet. Aber wenn er begreift: Das ist mir passiert, jetzt ist es vorbei, schlimmer wird’s nicht – dann schreit er nicht. Und auf gar keinen Fall schreit er, wenn jemand bei ihm ist, der ihm helfen will.« Gabriella ärgerte sich, dass Neri offensichtlich gar keine Lust hatte, den Unfall ein bisschen zu hinterfragen. Daher wandte sie sich

Weitere Kostenlose Bücher