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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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wenn Sie irgendetwas brauchen. Wir sind für Sie da. Rund um die Uhr!«
    Ingrid hatte nur genickt.
    Jetzt saß sie vor dem Haus auf der Terrasse und sah über das Land. Es war kurz nach vier. Vereinzelt zogen ein paar leuchtend weiße Nachmittagswölkchen am blauen Himmel vorüber. ›Schönwetterwolken‹, hatte ihre Mutter immer gesagt, ›die schaden nicht, die werden von der Sonne gefressen.‹
    Sie sah den Himmel und die Wolken, in der Ferne das gewaltige Massiv des Monte Amiata und die in der Hitze flimmernde, unscharfe Silhouette Sienas. Die Autos auf der Schnellstraße schienen durch die Entfernung extrem langsam zu fahren und wirkten winzig wie Spielzeug.
    In jedem Wagen sitzt ein Mensch, dachte Ingrid, und jeder von ihnen hat ein Ziel, eine Aufgabe, ein Zuhause. Jemanden, der auf ihn wartet. Eine Familie, eine Hoffnung und eine Zukunft.
    Ich habe nichts mehr. Mit Engelbert habe ich die Lust verloren, weiter auf dieser Welt zu leben. Bis gestern war dieser Blick traumhaft, heute bedeutet er mir nichts mehr. Ich habe weder die Kraft noch den Willen, mich neu zu orientieren und mich allein zurechtzufinden. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass ich mich jemals wieder über etwas freuen werde, ohne die Freude mit Engelbert teilen zu können.
    Ich bin am Ende.
    Sie stand auf und ging ins Haus. Legte sich ins Bett und wünschte sich, einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen.

SIEBENUNDZWANZIG
    »Buongiorno, junger Mann!«, sagte Oma, als Neri zum Abendessen in die Küche kam.
    Neri ignorierte die Begrüßung, setzte sich und schlug die La Nazione auf. Es hatte einfach keinen Zweck, sich mit Oma zu unterhalten, außerdem ging ihm die ganze Situation unsagbar auf die Nerven. Zumal er sowieso nicht bei der Sache war. In Gedanken war er bei Jonathan und Sofia und bei der Ehefrau des Toten, die er am liebsten ins Krankenhaus eingeliefert hätte, weil sie einen Schock hatte und völlig hysterisch war. Aber sie hatte sich dagegen gewehrt. Wahrscheinlich hatte sie Angst vor italienischen Krankenhäusern, in denen sie sich noch hilfloser fühlen musste, als sie ohnehin schon war. Auf jeden Fall hatte er noch nie in seinem Leben einen so blassen Menschen gesehen. Als wenn kein Tropfen Blut mehr in ihren Adern flösse.
    »Wollen Sie sich nicht vorstellen?«, fragte Oma spitz und sah Neri aufmüpfig an.
    Neri war hinter seiner Zeitung verschwunden und reagierte gar nicht.
    »Mama, das ist Donato, mein Mann. Er braucht sich nicht vorzustellen, er wohnt hier.« Gabriella seufzte, weil sie diese Erklärung fast jeden Tag abgeben musste.
    »Ach so. Na, das kann man ja nicht ahnen. Mir sagt ja keiner was.« Oma war beleidigt.
    Neri legte die Zeitung weg. Er hatte keine Lust mehr, sich ständig zu verstecken, nur weil Oma ihn nicht kannte oder nicht kennen wollte und ihn schikanierte. Er war es leid. Er wollte sich mit Gabriella unterhalten, wenn er nach Hause kam, so wie früher, wollte ihre Meinung hören, auch wenn sie ihn manchmal aufregte. Immer noch besser als dieses Schweigen, um nicht noch mehr blödsinnige Bemerkungen seiner Schwiegermutter zu provozieren.
    »Ich war heute bei den Valentinis«, sagte er.
    »Ach?« Gabriella hörte auf, Karotten zu schälen und sah auf. »Wie geht’s Jonathan? Und vor allem Sofia?«
    »Ganz gut, aber sie haben ein Problem. Einer ihrer Feriengäste ist die Treppe runtergefallen. Er ist tot.«
    »Waaaas?« Gabriella setzte sich. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie wieder ganz auf ihn konzentriert und nicht auf Oma.
    »Ja. Üble Geschichte. Aber so was kommt eben vor.«
    In diesem Moment kam Gianni in die Küche und öffnete den Kühlschrank.
    »Kein Bier mehr da?«
    »Nein.«
    »Ist ja zum Kotzen.«
    »Ja.« Gabriella wollte mehr von den Valentinis hören und sich nicht über fehlendes Bier unterhalten. Sie mochte die beiden sehr.
    »Erzähl mal ganz genau, was auf La Passerella passiert ist!«, bat sie Neri. »Bitte!«
    Gianni wollte eigentlich gerade wieder die Küche verlassen, aber jetzt blieb er und sah seinen Vater abwartend an.
    »Wann gibt es hier denn endlich was zu essen?«, fragte Oma.
    »Gleich«, meinte Gabriella unwirsch.
    »Ich habe Hunger.«
    »Ja, ich weiß. Aber du wirst doch wohl noch einen Moment warten können! Geh in dein Zimmer und löse ein Kreuzworträtsel. Wenn du fertig bist, bin ich hier auch fertig.«
    »Ach! Du willst mich loswerden!« Oma verschränkte kampfeslustig die Arme.
    »Also, was war bei den Valentinis?« Gabriella hatte beschlossen, Oma einfach zu

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