Der Menschenraeuber
Internet gestellt hatte, waren die Wohnungen und Casa Gioia den Sommer über bis in den Herbst hinein ausgebucht. Die Einnahmen reichten für die Familie, Sofia und Jonathan lebten ein bescheidenes, aber glückliches Leben.
Jonathan schaltete den Computer an und wartete, bis er hochfuhr. Er ging ins Internet und öffnete sein Postfach.
Zwei neue Mails wurden angezeigt.
Die erste war Werbung von einer Billigfluglinie. Er löschte sie, ohne sie zu öffnen.
Die zweite sah nach einer Buchungsanfrage aus, und er las sie sofort.
Sehr verehrte Familie Valentini,
wir haben Ihre Anzeige in der ZEIT gelesen und uns mit großem Interesse Ihre Homepage angesehen. Ihr Anwesen in der Toskana ist wirklich wunderschön, und wir möchten höflichst anfragen, ob die Landhausvilla Casa Gioia in der Zeit vom 8. – 22. Juni noch frei ist.
In der Hoffnung auf eine positive Antwort
verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Ingrid Kerner
Das ist ja wunderbar, dachte Jonathan. Er wusste ziemlich genau, dass die Villa zu dieser Zeit noch frei war, aber zur Sicherheit schaute er noch einmal im Kalender nach. Dann beantwortete er die Mail.
Sehr geehrte Frau Kerner,
wie schön, dass Ihnen Casa Gioia gefällt und Sie Ihren Urlaub bei uns verbringen möchten.
Ich habe die Landhausvilla jetzt in der Zeit vom 8. – 22. Juni für Sie reserviert.
Bitte leisten Sie in den nächsten Tagen eine Anzahlung von achthundert Euro. Wenn das Geld auf unserem Konto gutgeschrieben ist, ist die Landhausvilla fest für Sie gebucht.
Wir freuen uns darauf, dass Sie unsere Gäste sein werden, und wünschen Ihnen bis zu Ihrem Urlaubsbeginn noch eine schöne Zeit.
Mit freundlichen Grüßen
Sofia und Jonathan Valentini
Er hatte sich angewöhnt, auch mit dem Namen Valentini zu unterzeichnen. Sein früherer Name hatte hier in der Toskana nichts mehr zu suchen, manchmal hatte er ihn schon fast vergessen.
Zufrieden schaltete er den Computer aus. Die Saison ließ sich gut an, jetzt gab es nur noch im September zwei Wochen, in denen die Landhausvilla nicht belegt war.
ACHTZEHN
Donato Neri hatte nicht geglaubt, dass einmal eine Zeit kommen würde, in der er gern ins Büro ging. Die Amtsstube der Carabinieri mit ihren gelb getünchten Wänden, dem hässlichen schwarzen Aktenschrank und dem hellbraunen schmucklosen Schreibtisch mit der rutschfesten dunkelgrünen Gummiauflage erschien ihm in ihrer Eintönigkeit auf einmal sonnendurchflutet und freundlich, die Landkarte an der Wand wirkte bunt und abwechslungsreich, und wenn er darauf starrte, konnte er immer neue kleine Orte entdecken, wo er noch nie gewesen war. Selbst die gähnende Langeweile seiner Tage war besser zu ertragen als der Irrsinn, der sich momentan bei ihm zu Hause abspielte.
Unvorstellbar lange neun Monate lagen hinter ihm, gefühlte neun Jahre, seit seine Schwiegermutter Gloria bei ihnen eingezogen war. In dieser Zeit bekamen Frauen Kinder, und jede noch so quälende Schwangerschaft endete irgendwann – der Besuch Glorias dagegen nie. Neri befürchtete, dass es nur einen Menschen auf der Welt gab, der ewig lebte, und das war Gloria. Sie hatte ihre Tochter Gabriella erst mit vierzig bekommen und war jetzt achtundsiebzig. Gloria hatte sich immer Kinder gewünscht, war aber einfach nicht schwanger geworden. Mit fünfunddreißig ging sie das erste Mal in ihrem Leben zum Frauenarzt und klagte ihr Leid. Der Gynäkologe machte diverse Untersuchungen, schickte Blutproben in unterschiedliche Labors und machte von Woche zu Woche ein bedenklicheres Gesicht.
»Mi dispiace«, sagte er schließlich, »aber Sie können keine Kinder bekommen. Da kann man nichts machen, das ist Schicksal.«
Gloria war tief enttäuscht und brauchte ein halbes Jahr, um über den Schock hinwegzukommen. Aber eines Morgens beim Frühstück klatschte sie plötzlich in die Hände, so dass ihr Mann überrascht seine Zeitung niederlegte, und sagte: »Va bene. Wenn es so ist, dann ist es eben so. Basta. Lass uns unser Leben genießen, Silvano!«
Silvano grinste. »Manchmal hast du wirklich gute Ideen, Gloria.«
Und das taten sie. Sie liebten sich frei, ohne von dem dringenden Kinderwunsch erdrückt zu werden, und vier Jahre später war Gloria schwanger.
»Alle Frauenärzte sind Idioten«, war Glorias Resümee, sie weigerte sich, jemals wieder einen aufzusuchen, und brachte mit vierzig Jahren ein gesundes Mädchen, Gabriella, zur Welt.
Im vergangenen Sommer war Neris Frau Gabriella überraschenderweise in ihre
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