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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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ab.

ZWANZIG
    Ingrid und Engelbert hatten in Bad Reichenhall in einer kleinen Pension übernachtet und waren nach einem kurzen Frühstück sehr zeitig aufgebrochen. Es würde ein heißer Tag werden, am Himmel zeigte sich keine Wolke, aber jetzt am frühen Morgen war es noch angenehm kühl.
    Engelbert saß entspannt hinterm Steuer und hing seinen Gedanken nach. Nirgends konnte er so gut nachdenken wie beim Fahren, und auch wenn er auf langen Strecken unterwegs war, schien es ihn nicht anzustrengen. Jedenfalls wurde er nur selten müde und war nicht – wie Ingrid – anfällig für Sekundenschlaf.
    Gerade hatten sie den Brenner hinter sich gelassen, und Ingrid blätterte die CDs durch, die in der Konsole gestapelt waren.
    Sie legte Alexandra auf. Mein Gott, es musste vierzig Jahre oder länger her sein, dass deren Lieder sie zu Tränen gerührt hatten.
    Ingrid schloss die Augen und lehnte sich zurück. Sie war glücklich, Engelbert an ihrer Seite zu haben. Er war der Mann, mit dem sie alt werden wollte. Die Abenteuer, die ihnen blieben, waren Reisen in ferne Länder oder Schiffstouren mit Henning und Hella.
    Jetzt erwarteten sie zwei Wochen Toskana in einem kleinen Haus mit herrlichem Ausblick. Ein Ort, an dem sie jeden Tag genießen und ihrem Schöpfer danken konnten, dass es ihnen gutging.
    Ingrid streckte die Füße aus, bewegte die Zehen, weil ihre Beine ganz steif waren, atmete tief durch und schloss die Augen. Das Leben war einfach großartig.
    Engelbert lächelte am Steuer still vor sich hin. Er fuhr mit hundertdreißig Stundenkilometern gelassen und ruhig der Sonne entgegen, und sie liebte ihn in diesem Moment mehr denn je.
    Dann schlief sie ein.
    Kurz vor Modena, als Engelbert auf einen Rastplatz fuhr, um zu tanken, wachte sie auf. Engelbert parkte den Wagen kurz vor der Ausfahrt, ging auf die Toilette und ins Restaurant und kam mit zwei großen Milchkaffee und Käsebrötchen wieder.
    »Hat mich ein Vermögen gekostet«, meinte er grinsend, »aber wer weiß, wann wir heute noch etwas zu essen bekommen. Ich bin gespannt, was für eine Räuberhöhle du uns da angemietet hast.«
    Für die Reiseplanung war normalerweise Ingrid zuständig. Sie entschied, in welches Land sie fuhren, sie suchte Hotelzimmer oder Ferienhaus aus, buchte telefonisch oder mailte den Vermietern.
    Engelbert lehnte am Kotflügel und aß sein Brötchen mit Appetit. Ingrid sah seinen Bauch, der sich über dem Gürtel wölbte, und sein Kinn, das sich längst nicht mehr so energisch vorschob wie früher, sondern weich geworden war und sich allmählich in ein Doppelkinn verwandelte.
    Sie ging zu ihm und legte den Arm um ihn.
    »Soll ich weiterfahren? Bist du müde?«
    »Überhaupt nicht!« Engelbert schob sich den letzten Bissen des Brötchens in den Mund und wischte sich die Hände an seinem Taschentuch ab. »Ich kann bis nach Ambra fahren, wenn du willst. Und ich denke, das ist auch gut so, dann kannst du mich hinlotsen.«
    La Passerella lag zu einsam, als dass ein Navigationssystem es finden konnte, aber Herr Valentini, der hervorragend deutsch schreiben konnte oder vielleicht sogar ein Deutscher war, hatte ihnen eine genaue Wegbeschreibung geschickt, und Ingrid war sicher, dass sie das Landgut finden würden.
    »Okay«, sagte sie, »wenn du noch kannst – wunderbar. Dann lass uns fahren.«
    Drei Stunden später nahm Engelbert die Ausfahrt Valdarno. Bis nach Monte Benichi brauchten sie noch eine Dreiviertelstunde und fuhren mit Hilfe des Navigationssystems. Unterhalb des Castelletto im Zentrum von Monte Benichi flötete die freundliche Frauenstimme »Sie haben Ihr Ziel erreicht«, und Engelbert schaltete das System ab.
    »Wir fahren durch den Ort, bis sich die Straße gabelt, und dann rechts ab auf eine Natursteinstraße, immer an einer Trockenmauer entlang«, meinte Ingrid, und Engelbert nickte.
    Er fuhr langsam auf der Straße, auf der er von einem Schlagloch ins nächste krachte, dann kroch er den Berg hoch, wobei ihm der Wagen fast absoff, weil er wegen der schlechten Wegstrecke zu wenig Schwung genommen hatte. Sie kamen an Olivenhainen und Weinbergen vorbei und hatten einen herrlichen Blick über das Valdambra auf der einen und die Weinberge des Chianti auf der anderen Seite.
    »Traumhaft«, murmelte Ingrid beeindruckt. Zumindest an der Landschaft konnte Engelbert nichts auszusetzen haben.
    Nach einem Kilometer begann der Eichenwald. Die ziemlich kleinen, krüppeligen Bäume standen nicht sehr eng, dazwischen wuchsen meterhohe Erika und

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