Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
sagen.
»Hör auf mit dem Scheiß, wir machen das Ding doch zusammen, oder nicht?«
Das war seine Stimme. Die beiden Männer schrien sich jetzt gegenseitig an, übertönt nur von dem Hund, der wütend zu bellen anfing.
»Halt’s Maul, du dämlicher Köter.«
Der Hund heulte auf, als hätte ihn jemand getreten, und sie hörte, wie sich die beiden prügelten. Dann wurde die Seitentür des Vans aufgeschoben.
|242| »Lassen Sie ihn in Ruhe.«
Sie war auf den Bürgersteig getreten. Ein großer Mann mit einer Jacke, deren Kapuze er sich tief in die Stirn gezogen hatte, zuckte kurz zusammen und starrte sie an.
»Hau ab, du blöde Schlampe.«
Arne sah sie an, konnte aber nichts mehr sagen, weil der Mann ihn in den Lieferwagen stieß und sofort die Tür hinter ihm zuwarf. Sie wollte die Tür wieder öffnen, aber ihre Hände wurden von dem Griff gerissen, und der Mann stieß sie so heftig nach hinten, dass sie das Gleichgewicht verlor. Während sie sich aufrappelte, sprang er auf den Fahrersitz, startete und raste los. Der Hund lief bellend hinter dem Wagen her, der beinahe noch ein junges Mädchen auf ihrem Fahrrad umgefahren hätte. Dann fuhr er hinunter zur Bruunsgade und bog links ab.
Ohne darüber nachzudenken, rannte sie zu ihrem Auto und wollte den Van verfolgen, aber sie hatte Schwierigkeiten, die Jægersgårdsgade entlangzufahren. Ein Betrunkener wankte über die Straße und schwenkte seine Bierflasche. An der Bruunsgade angekommen, bog sie ebenfalls links ab und meinte, den Van in der Ferne rechts am Bahnhof abbiegen zu sehen, um die Ny Banegårdsgade entlangzufahren. Sie nahm die Kurve mit hohem Tempo, obwohl die Ampel bereits auf Rot gesprungen war. Als ein Pärchen die Straße am Fußgängerüberweg überqueren wollte, musste sie hart bremsen. Sie gab erneut Gas und sah, wie der Lieferwagen am Busbahnhof gegenüber vom Polizeipräsidium nach rechts bog. Im dritten Gang schlitterte sie um die Kurve, bevor die Ampel wieder umschaltete. Die Kreuzung Ecke Spanien und Dynkarken hatte sie kurz darauf erreicht, war sich aber nicht sicher, ob der Van nach links oder rechts gefahren war. Sie musste einen schnellen Entschluss fassen und wählte den Linksabbieger. Gleich darauf entdeckte sie den schwarzen Wagen, der zwischen den wenigen Autos Zickzack fuhr und dann auf der rechten Spur blieb.
Sie sah ihn noch nach links in den Nørreport einbiegen und hatte die Kreuzung elegant gemeistert, als sie die Sirene hinter |243| sich hörte und nur wenige Sekunden später von der Polizei an die Seite gewunken wurde. Sie hatte keine andere Wahl, als vor der alten Nørre Boulevard Schule anzuhalten und das Fenster herunterzukurbeln, während der Beamte von seinem Motorrad stieg, auf die Fahrerseite kam und sich zu ihr hinunterbeugte:
»Bitte Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere, junge Frau?«
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Kapitel 36
»Wo ist Ihr Vater gestorben?«
»Im Städtischen Krankenhaus. Ja, ich weiß, so heißt es heute nicht mehr, aber Sie wissen schon, das in der Innenstadt. Er hatte Lungenkrebs.«
Marie Gejl Andersen war noch immer aufgebracht.
»Sind Sie in der Angelegenheit weitergekommen?«, wollte sie wissen. »Haben Sie herausgefunden, ob das auch anderen passiert ist?«
Dicte erzählte ihr von der Theorie der Glaskünstlerin.
»Glasaugen?«, Marie Gejl Andersen klang wütend. »Was geht hier eigentlich vor sich? Mein Vater hatte kein Glasauge und schon gar nicht zwei. Von wem sind die dann? Jemand muss doch dafür verantwortlich zu machen sein.«
Dicte hielt den Hörer mit ausgestrecktem Arm vom Ohr weg. Sie konnte die Reaktion verstehen, aber die Stimme ihrer Gesprächspartnerin war auf ein Dezibel-Niveau gestiegen, das sie nicht gut vertragen konnte.
»Ich würde dem gerne auf den Grund gehen. Könnten Sie eventuell die Krankenakte Ihres Vaters besorgen?«, fragte sie. »Angehörigen ist das erlaubt. Ich muss versuchen, den Weg Ihres Vaters durch die Stationen des Systems zu rekonstruieren, |244| um herauszubekommen, wo der Fehler liegt, wenn es denn ein Fehler war.«
»Was meinen Sie mit ›wenn es denn ein Fehler war‹?«, flüsterte die Stimme am anderen Ende der Leitung jetzt verzweifelt. »Es kann doch unmöglich vorsätzlich gewesen sein. Warum sollte jemand zwei Glasaugen in den Sarg meines Vaters legen?«
Ja, warum? Dicte überlegte, ob es nicht eine ganz plausible Erklärung dafür geben könnte. Vielleicht hing es sogar mit der Krankheit des Vaters zusammen. Wenn allerdings der Krebs auch die
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