Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
Bett.«
Er protestierte nicht, als sie seinen Rollstuhl nur mit Unterhose und dem offenen BH bekleidet nah ans Bett heranfuhr und ihm half, sich auf die Matratze fallen zu lassen.
»Hat er gesagt, wo er am Tag des Fußballspiels war?«
Sie half ihm, sich auszuziehen.
»Im Stadion. Er hat sich das Spiel angesehen. Solche Typen wie er gehen halt ins Stadion.«
»Und weiter? Wo war er dann?«
Sie hatten sich nie angelogen. Was das anbetraf, führten sie ein weniger kompliziertes Leben als die meisten Paare. Sie hätte ihm zwar nie unaufgefordert etwas erzählt, aber es war für sie undenkbar, zu lügen, wenn sie gefragt wurde.
»Er war da und hat das Mädchen dort liegen sehen. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Und was hast du mit diesem Wissen vor?«
»Nichts.«
»Du solltest damit zur Polizei gehen. Sonst riskierst du eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung. Dafür kannst du ins Gefängnis wandern.«
|240| Seine Stimme war bei weitem nicht so hart wie seine Worte. Sie wusste, dass er sie nur quälen wollte. In Wirklichkeit war es ihm nämlich egal, was sie tat, und genau das war auch das Problem. Er protestierte nie. Er verbot ihr auch nie eine ihrer Eskapaden. Er wurde eifersüchtig, aber die Eifersucht war für ihn zu einer Art Triebfeder geworden, das, was früher der Sex gewesen war. Er brauchte das. Jedes Mal spürte sie ihn im Rücken, wenn sie etwas Gefährliches wagte. Er wollte das, was auch sie wollte. Auf diese Weise war er ihr Marionettenspieler.
Es dauerte lange, bis er in den Schlaf fand, sie holte sogar Schlaftabletten, um die er sie gebeten hatte. Sie lag neben ihm im Dunkeln und lauschte seinen Atemzügen, bis sie es nicht mehr aushielt. In ihr zog und zerrte etwas, es dröhnte in der Leere, die sie ausfüllte.
Dann stand sie auf und zog sich an. Sie dachte an den Umschlag, den sie in ihrem privaten Safe im Büro untergebracht hatte. Sie hatte ihn nicht geöffnet und sich vorgenommen, alles darüber einfach zu vergessen. Er gehörte ihr nicht, sie bewahrte ihn lediglich auf.
Leise verließ sie das Haus und fuhr in die Jægersgårdsgade. Es war 23 Uhr 10. Die roten Ziffern der Uhr im Armaturenbrett leuchteten ihr entgegen. Sie wusste nicht so recht, was sie vorhatte, aber es müsste ungefähr die Uhrzeit sein, wo er das letzte Mal mit dem Hund rausging.
Es war Licht in der Wohnung. Sie parkte etwa zehn Meter vom Eingang entfernt und wartete. Ob sie einfach zu ihm hochgehen sollte? Ihrem Körper fehlte das eine, damit sie sich ganz fühlen konnte, wenn auch nur für wenige Augenblicke.
Sie hatte ungefähr eine Viertelstunde gewartet, als ein schwarzer Van an der Bordsteinkante hielt und ihr die freie Sicht auf den Hauseingang nahm. Sie hörte, wie sich die Wagentür öffnete, konnte aber nicht sehen, wer ausstieg. Sie sah nur, dass sich die Eingangstür öffnete, und konnte in den kleinen Fenstern im Treppenhaus beobachten, wie sich der Schatten eines Mannes in den dritten Stock hocharbeitete. Ein innerer Impuls |241| wollte, dass sie ihm folgte, aber sie traute sich nicht. Darum blieb sie im Wagen sitzen. Sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass irgendetwas nicht stimmte. Wenn denn jemals etwas gestimmt hatte.
Sie rollte das Fenster herunter und atmete die sommerliche Abendluft tief ein. Junge Menschen schlenderten die Straße entlang in dünner Sommerkleidung; eine Flasche klirrte, aus mehreren Richtungen war laute Musik zu hören, während die Leute vor den Cafés und Restaurants saßen und ihren Wein oder ihr Bier tranken. Sie hatte gehört, dass dieses Viertel im Moment das angesagteste war. So konnte es kommen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte die Jægersgårdsgade das Image einer total verkommenen Gegend gehabt, mit schummrigen Kneipen, Tattoo-Shops und der Schwulendisko Pan. Doch dann war ein mondäner Geist durch die Gassen gezogen, und aus den übelriechenden Löchern der verlorenen Seelen wurden angesagte Cafés und Restaurants für jene, die Stil und Geld besaßen. Es gab bestimmt welche, die diesen Gang der Zeit beweinten. Für sie aber war das nur die gesunde und normale Entwicklung des Marktes: Wo es Nachfrage gab, musste es ein Angebot geben.
Plötzlich ging das Licht im Treppenhaus wieder an, und sie meinte, zwei Gestalten und einen Hund die Treppe herunterkommen zu hören. Sie stieg aus dem Wagen, überquerte die Straße und ging hinten um den Van herum.
»Das ist ganz allein deine eigene Schuld. Los, rein mit dir in den Wagen«, hörte sie eine Stimme
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