Der Menschenspieler
überzeugend? Ich frage den ganzen Kurs?«
»Ja«, sagte ein Junge namens Frank Marsden aus der letzten Reihe. Dünn, auf eine klassische Art gut aussehend, Marsden studierte Schauspiel mit Literatur als Nebenfach. Von all den Studenten im Hörsaal konnte er am ehesten die Wahrheit von der Schauspielerei unterscheiden.
»Absolut«, sagte Alex Shipley.
»Was, wenn Literatur so wäre?«, fuhr Aldiss fort. »Was, wenn ein Buch, ein Roman uns reinlegt, damit wir glauben, es wäre real, aber wenn wir es uns tatsächlich ansehen, wenn wir es wirklich lesen, wenn wir richtig aufmerksam sind, dann beginnen wir zu erkennen, dass hinter den Seiten eine ganze Welt liegt? Ein Universum voller tiefergehender Wahrheiten. Und alles, was dazu nötig ist, ist unsere Fähigkeit, das Kaninchenloch zu finden.«
Er machte eine Pause, ließ die kryptischen Informationen, die er gerade verbreitet hatte, sinken. »Wie viele von Ihnen haben von Paul Fallows gehört?«
6
Tatsächlich hatten ein paar schon von ihm gehört. Sie erzählten Aldiss, was sie über den Autor wussten. Sie wussten, dass niemand wirklich sicher war, wer Fallows war. Sein erster Roman war ein riesiger Erfolg gewesen, aber je mehr Kritiker und Wissenschaftler Fallows ins Rampenlicht rücken wollten, umso stärker weigerte sich der Autor aufzutauchen. Er begann, wie ein Geist zu verschwinden. Es war spekuliert worden, teilweise in den Medien und teilweise in den Gerüchteküchen jeder Literaturfakultät Amerikas, dass Fallows Pynchon sei, Barth oder Eco. Oder er war Charles Rutherford, der Lexikonverkäufer, dessen Foto die Rückseite von Fallows’ Büchern schmückte. Aber bis heute wusste es niemand, es gab keine Interviews mit Fallows, keine Geschichten über ihn, eigentlich gar nichts, das zweifelsfrei bewies, dass der Mann mehr war als ein Pseudonym.
Und selbst Pseudonyme kann man ausfindig machen – nur Fallows nicht.
»Paul Fallows spielte ein Spiel« sagte Aldiss. »Und in diesem Kurs möchte ich, dass Sie daran teilnehmen. Das Rätsel, das wir lösen werden, wird also der Autor selbst sein. Wir werden die beiden existierenden Romane von Fallows lesen und, wenn wir Glück haben, die wahre Identität des großen Schriftstellers aufdecken. «
Es gab einen Augenblick verwirrter Stille.
»Was meinen Sie damit, seine Identität aufdecken?«, fragte schließlich ein Junge namens Jacob Keller. Er war Offensive Lineman im Footballteam von Jasper. Ein Kuriosum: Schwerfällig und groß, aber mit sanften Augen, er lächelte oft, und seine Fingerspitzen waren immer weiß von der Kreide der Linien. Er war der Einzige im Footballteam, der Keats rezitieren konnte.
»Ich meine, Mr Keller«, sagte Aldiss, »dass eine Ihrer Aufgaben in diesem Kurs sein wird herauszufinden, wer Paul Fallows wirklich ist.«
»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte eine Stimme aus der letzten Reihe. Lewis Prine studierte im Nebenfach Psychologie, vielleicht war er der einzige Student im Kurs, der nicht bis zur Besessenheit in Bücher verliebt war. »Man sucht seit dreißig Jahren nach Fallows. Experten, Wissenschaftler, Verschwörungstheoretiker. Wie sollten wir ihn in unserem kleinen Abendkurs am Jasper College finden?«
»Sie müssen mehr an Ihre Fähigkeiten glauben, Mr Prine.«
Die Studenten sahen einander an. Sie fühlten sich bestärkt, ermutigt – und ein bisschen mulmig. Ihre erste Stunde ging zu Ende. Man hatte ihnen gesagt, dass der Bildschirm zur vollen Stunde schwarz werden würde. Die Übertragung war so eingestellt, nicht länger zu laufen.
»Ihre Leseaufgabe für die nächste Stunde sind die ersten fünfzig Seiten von Fallows’ Meisterwerk Die Windung . Sie werden morgen früh das komplette Kursprogramm mit der Campuspost erhalten«, sagte Aldiss. »Aber ich möchte Sie heute Abend mit einer Frage verabschieden. Betrachten Sie sie als Hausaufgabe für die nächste Stunde. Es ist ein Rätsel direkt von dem großen Paul Fallows.«
Die Studenten warteten, die Stifte über den Notizblöcken erhoben.
»Wie heißt der Mann im dunklen Mantel?«
Damit schwieg Aldiss, und ein paar Sekunden später war sein Bild weg, wieder vom Bildschirm verschwunden.
In dieser Nacht konnte Alex Shipley nicht schlafen.
Sie lag in ihrem Zimmer in Philbrick Hall, ihre Zimmergenossin schnarchte leicht im Bett über ihr. Sie starrte in die Dunkelheit. Sie konnte nicht aufhören, an Richard Aldiss zu denken, daran, wie er sie an diesem ersten Abend angesprochen hatte, an den Anfall, den er
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