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Der Menschenspieler

Der Menschenspieler

Titel: Der Menschenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Lavender
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geschah.
    Die paar Studenten, die zu dieser kalten Stunde unterwegs waren, sahen das nervöse Kerzenlicht der Mahnwache aus der Entfernung durch ein Birken- und Eichenwäldchen auf dem Campus unweit des Lake Champlain. Es schneite leicht, die Flocken wirbelten im Januarwind wie Staubflusen nach oben. Beim Blick aus einem hoch gelegenen Wohnheimfenster sagte ein Erstsemester, es war, als würde gleich jemand hingerichtet.
    Direkt hinter den Demonstranten, in einem Gebäude, das abgesehen von ein paar Erdgeschosslichtern dunkel war, saßen zwei Polizisten in einem Zimmer von der Größe einer Besenkammer, tranken Kaffee und schauten auf ihren eigenen winzigen und noch leeren Monitor.
    Lösung eines literarischen Rätsels – auch darüber war gestritten worden. Der Präsident hatte den Titel ausgesucht, weil er ihm für das, was der Professor plante, passend erschien. Dabei wusste der Präsident des College gar nicht genau, worum es in dem Seminar gehen würde. Er konnte es gar nicht wissen. Der Mörder hatte nur von einem »literarischen Spiel« gesprochen, das seine Studenten im Seminar spielen würden. Über seinen Lehrplan hatte er mit niemandem geredet.
    Wegen dieser Unmöglichkeit, auch nur zu erraten, was nun geschehen würde, herrschte im Kursraum Schweigen. In den Wochen vor Semesterbeginn, als sie über die Weihnachtsferien zu ihren Familien gefahren waren, hatten die Studenten, die sich für LIT 424 eingetragen hatten, Zeit zum Nachdenken gehabt. Zeit, ihre Entscheidung für diesen merkwürdigen Kurs zu überdenken. Sie fragten sich, ob in diesem Hörsaal irgendetwas schiefgehen könnte, ob ihr Professor irgendwie … zugegeben, es klang verrückt. Die meisten von ihnen sprachen es nicht laut aus oder wenn doch, dann nur gegenüber ihren Mitbewohnern oder engsten Freunden. Ein Hauch von einem Flüstern, das vom Wind ins Nichts verweht wurde.
    Ob er irgendwie ausbrechen könnte.
    Daran dachten sie in diesen letzten Sekunden. Einige von ihnen redeten über ihre anderen Seminare in diesem Semester, blätterten Bücher durch und markierten Abschnitte mit zittrigen gelben Bögen. Aber meistens saßen sie einfach da und sagten nichts. Sie starrten auf den leeren Bildschirm. Sie waren gespannt, und sie warteten.
    Schließlich wurde der Bildschirm schwärzer, und alle richteten sich auf. Dann fing das Gerät an zu summen, ein elektrisches Sirren, eine Art Nulllinie, die von links nach rechts durch den Raum lief. Ihr Professor – das Genie, das den MacArthur-Preis gewonnen hat, einstmals der strahlende Stern an der nahen Dumant University und so berühmt, wie ein Literaturprofessor es nur sein konnte, derselbe Mann, der vor zwölf Jahren zwei Studentinnen grausam ermordet hatte – war bereit zu erscheinen.
    Die Schwärze löste sich auf, das Geräusch erstarb, und das Gesicht des Professors tauchte auf dem Bildschirm auf. Sie hatten Bilder von ihm gesehen, viele auf vergilbtem Zeitungspapier. Es gab Fotos von dem Mann in einem dunklen Anzug (während seines Prozesses) oder mit gefesselten Händen und einem wölfischen Lächeln (Augenblicke nach der Urteilsverkündung) oder mit zurückgekämmten Haaren in einer Tweedjacke mit Fliege (sein Fakultätsfoto in Dumant von 1980).
    Diese Fotos hatten die Studenten nicht auf den Mann auf dem Bildschirm vorbereitet. Das Gesicht dieses Mannes war härter, die Falten tiefer. Er trug tatsächlich einen orangefarbenen Overall, die Häftlingsnummer knapp vom unteren Bildschirmrand verdeckt. Der tiefe V-Ausschnitt ließ den geschwungenen Rand einer verblassten Tätowierung direkt über seinem Herzen sehen. Auch wenn die Studenten es noch nicht wussten, diese Tätowierung hatte die Form eines kurvigen Puzzleteils.
    Die Augen des Professors schienen zu pulsieren. Scharfe, harte Augen, die eine bedrohliche Intelligenz ausstrahlten. In der Sekunde, in der die Studenten ihn dort sahen, waren sie weder überrascht noch schockiert. Sie dachten eher: Na gut. Das ist er also. Ein Mädchen weiter hinten flüsterte: »Gott, ich wünschte, er wäre nicht so …« Und dann beendete ein anderes Mädchen, eine Freundin neben ihr, den Satz: »Sexy.« Die beiden Studentinnen lachten, aber leise. Sehr leise.
    Jetzt lehnte sich der Professor vor. Im Hintergrund konnten die Studenten seine beiden Gefängniswärter sehen, alles außer ihren Gesichtern – die Beine in dunklen Hosen, das Blitzen ihrer Gürtelschnallen und die ledernen Schlagstöcke, die sie in Halftern trugen. Einer von ihnen stand mit

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