Der menschliche Körper
er schweigt, so wie jetzt, ist es noch schlimmer. Das mit der psychologischen Betreuung ist wahrscheinlich eine Falle. Aber wessen verdächtigt man ihn? Verrat? Machtmissbrauch? Mord? Er fällt nicht darauf herein.
«Feldwebel, kennen Sie den Ausdruck posttraumatische Belastungsstörung?»
«Ja, man hat uns bei der Einsatzausbildung davon erzählt.»
«Und glauben Sie, dass diese Störung in diesem Augenblick irgendetwas mit Ihnen zu tun haben könnte?»
«Nein.»
«Sind Sie sicher?»
«Ja, hab ich doch gesagt. Weder zittere ich, noch habe ich Halluzinationen. Die letzte Nacht habe ich geschlafen, und ich habe auch keine Albträume.»
«Deshalb machen Sie keine Phase von posttraumatischer Belastungsstörung durch.»
«Zittern, Halluzinationen, Albträume. Das sind die Symptome, ich erinnere mich.»
«Sind das alle Symptome?»
«Ja. Das hat man uns in der Ausbildung beigebracht, und ich habe diese Symptome nicht.»
«Und was haben Sie geträumt, Feldwebel?»
«Ich träume nie, Herr Korvettenkapitän.»
«Nie?»
«Nie.»
Cederna ist noch weniger kooperativ, als er an der Reihe ist. Die langen Gesichter seiner Kameraden haben ihm schlechte Laune gemacht, er findet es lächerlich, dass sie darum wetteifern, wer mehr Schmerz empfindet über das, was geschehen ist. Da hätten sie früher dran denken sollen. Es ist traurig, das stimmt, verdammt traurig, auch ihm geht es nah, aber er hat sicher nicht die Absicht, das zu erkennen zu geben. Sie sind im Krieg, was haben sie denn geglaubt, dass die Leute nicht sterben, im Krieg? Er ist Realist, und manchmal ist es hart, der Realität ins Gesicht zu schauen, denn das Dasein ist roh und nimmt einen auf die Hörner, aber wenn du ein vernünftiger Mensch sein willst, kannst du nur die Augen weit offen halten, immer. Stattdessen verpflichtet man ihn, mit einem Psychologen zu reden. Matrose obendrein. Von den vielen Schwachsinnigkeiten, die er hat mitmachen müssen, ist das zweifellos die schlimmste.
«… deshalb möchte ich, dass Sie freiheraus reden, ohne Auslassungen oder Zensur.» Finizio beendet seine Einführung und wartet ab, aber Cederna ist bereit zum Überraschungsangriff. «Bei allem Respekt, Herr Kapitän», sagt er, «da ist nichts, worüber ich reden möchte.»
«Lassen wir die Formalitäten beiseite, Cederna. Ja, machen wir es so. Von diesem Augenblick an bin ich nicht mehr Kapitän. Schauen Sie, ich nehme auch das Dienstgradabzeichen ab. Jetzt bin ich nur noch Andrea. Und Sie? Darf ich Sie Francesco nennen?»
«Cederna ist in Ordnung, Herr Kapitän. Stabsgefreiter noch besser. Oder Soldat, wenn Ihnen das lieber ist. Francesco ist nur für die Freunde.»
«Meinen Sie, ich sei nicht Ihr Freund?»
«Ich meine, dass jemand wie Sie wohl kaum mein Freund werden kann, Herr Kapitän.»
Der Psychologe ist sichtlich getroffen. Cederna muss sich ein Grinsen der Genugtuung verkneifen. Er hat ihn in der Hand.
«Und warum?»
Er zuckt mit den Schultern. «Ich wähle meine Freunde instinktiv aus. Ich beschnuppere sie. Ich bin ein Wolf, hat man Ihnen das nicht gesagt?»
«Nein, das hat man mir nicht gesagt. Und was haben Sie bei mir gerochen?»
«Ohne Zensur?»
«Wie gesagt.»
«Gestank nach Kompromissen. Und nach Pisse.»
«Pisse? Im Ernst?»
«Sie machen sich hier in die Hosen, Herr Kapitän. Sie würden lieber schön bequem hinter einem Schreibtisch sitzen, weit weg von unschönen Orten. Und sehen Sie nur, wohin man Sie geschickt hat.»
Finizio nickt. Cederna weidet sich am Schauspiel seiner Verwirrung.
«Das ist interessant. Ich werde darüber nachdenken. Wollen Sie mir also von einem unschönen Ort erzählen, den ich noch nicht gesehen habe? Vielleicht von dem Tal, durch das ihr gezogen seid?»
«Und weshalb sollte ich?»
«Weil ich nicht dort war.»
«Dann suchen Sie es auf Google Earth. Sie brauchen nur den Namen einzugeben. Versuchen Sie es mit Verdammte Hölle. So können Sie es von hinter Ihrem Schreibtisch aus genießen.»
«Ich hätte es lieber, wenn Sie mir davon erzählen würden.»
«Ich habe überhaupt keine Lust dazu.»
«Okay, Cederna. Ich verstehe, wie schwierig es ist, in diesem Moment zu kommunizieren. Andere Gefühle zu zeigen als Wut. Es ist alles noch ganz frisch, und der Schmerz lässt uns verstummen. Sie fürchten, wenn Sie den Deckel hochheben, könnte eine solche Menge an Leid darunter hervorkommen, dass Sie es nicht ertragen können, aber ich bin hier, um Ihnen zu helfen.»
«Der Schmerz macht mich überhaupt
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