Der menschliche Körper
Herzen liegt, wie er Camporesi den Platz im Ambulanzwagen weggenommen hat und wie Camporesi wenige Stunden später zusammen mit den anderen Jungs in die Luft geflogen ist. Er bekommt diese grausame Verbindung nicht aus dem Kopf, aber jetzt, da er sie aus- und ansprechen müsste, weiß er nicht, wie er anfangen soll, ohne sich vor dem Vorgesetzten in ein schlechtes Licht zu rücken. Er möchte ihm vor allem zu verstehen geben, dass seine Absicht gut war, dass es keinen
strategischen
Plan hinter seiner Entscheidung gab und dass es sich nicht um puren Egoismus handelte – das heißt, Egoismus war schon dabei, ein bisschen normaler Egoismus, verdammt noch mal! Seit zwei Nächten hatte er nicht geschlafen, haben Sie schon mal ausprobiert, was es heißt, zwei Nächte lang nicht zu schlafen und ununterbrochen auf einer Straße aus Steinen und Bomben zu fahren, die Verantwortung für das Leben all dieser Männer auf dem Buckel? Nein, das haben Sie nicht, jede Wette, niemand hat das je ausprobiert, und er hatte diese Wunde am Bauch, sie brannte, als würde der Teufel persönlich daraufblasen, sie brannte wie ein Wickel mit Salzsäure, das war kein Egoismus, glauben Sie mir, es ging nur um ein paar Stunden, und wenn er nur gewusst hätte, wenn er hätte voraussehen können, was dann geschah, wäre er in den Lince zurückgekehrt, da können Sie sicher sein, er hätte sich für Camporesi geopfert, und jetzt säße er nicht hier vor ihm und würde ihm was vorerzählen, jetzt wäre er ein Häufchen Asche und ein paar Reste, oder er hätte verhindert, dass dieses Unglück geschah, sicher hätte er es verhindert, denn er ist ein guter Zugführer, einer, der weiß, was er tut, einer, der seine Jungs gernhat und sich für sie opfern würde, da können Sie Gift drauf nehmen, dass ich das tun würde, ich war immer bereit, mich für meinen Nächsten zu opfern, das ist das Einzige, was ich mit Bestimmtheit von mir weiß, ja, aber warum bin ich jetzt hier, warum bin ich noch am Leben, ich, ausgerechnet ich?
«Sehen Sie? Haben Sie es bemerkt?»
«Was?»
«Sie haben Ihre Atmung verändert. Sie setzen das Zwerchfell ein, das ist viel besser.»
René bemerkt keinerlei Veränderung in seiner Atmung. Hingegen hat er das Gefühl, dass sein Hals kürzer wird und der Kopf langsam in den Rumpf hineinsinkt, wie bei einer Schildkröte. Eine unsichtbare Hand drückt seinen Kopf nach unten.
«Feldwebel, geht es Ihnen gut? Sie sind etwas blass. Möchten Sie Wasser?»
«Nein, nein danke. Kein Wasser.»
Je länger er mit dem Reden wartet, umso mehr verwirren sich seine Gedanken. Jetzt scheint es ihm so, als hätte die drückende Hand mit Finizio zu tun, als würde er sie wie eine unsichtbare Verlängerung befehligen. Er raubt ihm den Sauerstoff, indem er ihn ganz an sich zieht. Und er hört nicht auf, ihn anzustarren, vielleicht versucht er ihn zu hypnotisieren. René senkt den Kopf, um dem Blick auszuweichen. «Herr Korvettenkapitän, wie wäre es, wenn Sie mir Fragen stellen würden? Das würde mir helfen.»
Wieder lächelt der Psychologe mit dieser irritierend betonten Nachsicht. «Es geht alles sehr gut», sagt er.
«Sehr gut? Aber wenn wir doch noch gar nicht angefangen haben!»
Finizio breitet die Arme leicht aus. In einigen Bewegungen erinnert er wirklich an einen Priester. Einmal hat jemand zu René gesagt:
Darüber sollten Sie mit dem Kaplan sprechen
. Das scheint vor langer Zeit gewesen zu sein.
«Ich werde Vater.» Es ist klar, dass das sein Bauch war, der, ohne dass er es ihm aufgetragen hatte, Luft in Form von Worten ausstieß, es war sein Zwerchfell.
Der Psychologe nickt, ohne sein Lächeln im Geringsten zu verändern. Ist das eine weitere Unterstellung von René, oder wusste der Psychologe schon, wovon René sprechen würde?
«Eine schöne Nachricht. Wann ist es so weit?»
Wann? Das weiß er nicht. Er hat noch nicht nachgerechnet. «In sechs Monaten», wirft er hin. «Ungefähr.»
«Gut. Dann sind Sie ja rechtzeitig zurück.»
«Ja.»
Wieder schweigen sie.
«Ich hoffe, es wird ein Mädchen», setzt René hinzu.
«Aus welchem Grund?»
«Weil die Frauen … na, weil sie sich nicht in gewisse Schlamassel verwickeln.»
«Spielen Sie auf den Unfall von neulich Morgen an?»
René ballt die Fäuste. «Nein. Das heißt, ja, vielleicht.»
Er zieht überhaupt keinen Nutzen aus der Unterredung, nur neue Frustration. Der Psychologe wendet sich in übertrieben ruhigem Ton an ihn. Er scheint ihm irgendetwas vorzuwerfen. Und wenn
Weitere Kostenlose Bücher