Der menschliche Körper
eine Pause. «Ich bin mir sicher, dass er mich vor allem kontrollieren wollte. Er hat überhaupt kein Recht dazu.»
«Ich könnte dir helfen. Den Rasen in Ordnung zu bringen, meine ich.» Er sagt das spontan, und gleich packt ihn die Angst, einen falschen Schritt getan zu haben, wie wenn man seinen Fuß in Treibsand setzt.
Flavia schaut ihm für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Mitleid. Zwischen den Fingern hält sie die brennende Zigarette. «Lass es gut sein, René. Trotzdem danke schön.»
«Ich mach das gern.»
«Du tust es aus Mitleid.»
«Das stimmt nicht. Und im Übrigen wäre auch an Mitleid nichts Schlechtes.»
«Wenn du den Rasen einmal mähst, wird der Garten in einem Monat wieder in dem Zustand sein, und ich bin wieder am selben Punkt. Dann werde ich nicht wissen, wen ich rufen soll, und dann rufe ich dich an. Du wirst dich nicht trauen, einer verzweifelten Witwe nein zu sagen, aber du wirst keine Lust dazu haben. Und so jeden Monat, bis du es satthast und eine Ausrede erfindest, um nicht mehr kommen zu müssen. Du wirst dich schuldig fühlen und ich mich wie eine Verlassene. Wir sollten uns das nicht antun, René. Leider wächst das Gras unermüdlich. Wir können nichts daran ändern.» Sie schweigt einen Augenblick, dann setzt sie hinzu: «Es ist nicht deine Schuld, dass Salvatore tot ist.»
Dem Feldwebel versetzt es einen Stich. Wenn sie wüsste! Wenn sie wüsste, wie sehr sie sich täuscht und wie viele Kilometer Rasen er mähen müsste, um sie für das zu entschädigen, was er ihr genommen hat. Mit dem Taschenmesser müsste er einen Wald abholzen. «Und wenn ich es mir antun will?», beharrt er. Flavia schnippt ein Ascheflöckchen vom Pullover. «Kannst du denn überhaupt mit einem Rasenmäher umgehen?»
«Sag mir, wo er ist, dann zeige ich es dir gleich.»
Sie bläst den Rauch nach oben. «Nein, nicht jetzt. Heute ist nicht der Tag für den Rasen.»
«Wann denn?»
«Am Samstagmorgen.» Sie drückt die halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und steht auf, als ob es plötzlich spät wäre und sie den Besuch abbrechen wolle. «Du hast jedenfalls noch Zeit, es dir anders zu überlegen. Du brauchst mir nicht Bescheid zu geben. Und ich bitte dich, es nicht zu tun.»
Aber René ist nicht der Typ, der kneift. Er hält das Versprechen, ja, in den Tagen davor denkt er an nichts anderes. Samstag erscheint er zeitig am Haus der Camporesis. Flavia ist noch im Morgenmantel. Sie hatte die Verabredung vergessen. Er registriert diese Vergesslichkeit mit unerwartetem Missfallen.
Er hat sie belogen: Er hat sich nie zuvor mit Gartenarbeit befasst, er hat immer in Wohnungen gewohnt. Es scheint ihm jedenfalls kein schwieriges Unterfangen. Bestimmte Amateurfilmchen vor Augen, die er sich im Netz angeschaut hat, macht er sich an die Arbeit.
Er fährt die Fläche mit dem Rasenmäher ab, in die eine und in die entgegengesetzte Richtung. Er hatte sich vorgestellt, die Bahnen würden farblich unterschiedlich sein wie auf dem Fußballplatz, aber irgendwie klappt das nicht. Es muss eine besondere Technik sein, die er nicht kennt. Er bemerkt Flavia, die ihn von der Veranda aus beobachtet, mit verträumtem Blick, als ob sie in seinen Bewegungen die eines anderen sähe. Jetzt trägt sie einen tief ausgeschnittenen Pullover ohne BH . Sie steht genau an der Stelle, wo ihr das Sonnenlicht direkt ins Gesicht scheint. «Du hast das noch nie gemacht, stimmt’s?»
René betrachtet den Teil der Rasenfläche, den er schon gemäht hat. Jetzt, da sie es gesagt hat, kann er zugeben, dass das Ergebnis ziemlich enttäuschend ist. «Merkt man es sehr?»
Flavia lächelt. «Es ist jedenfalls besser als vorher.»
Am Ende bleibt er zum Mittagessen und auch einen guten Teil des Nachmittags. Dann hat Flavia wie beim ersten Mal einen plötzlichen Stimmungsumschwung und verabschiedet ihn schnell, ohne Vorwarnung. Sie verspricht, dass sie ihn anrufen wird, wenn sie Hilfe braucht, aber die Art, wie sie es sagt, wirkt so, als hätte sie keinerlei Absicht, das zu tun.
Auf der Autofahrt nach Hause ist René durcheinander. Der Tag hat eine unvorhergesehene Wendung genommen. Es bleibt ihm ein Teil des Nachmittags, den er ausfüllen muss – zu Hause erwartet ihn Level acht von Halo –, aber er glaubt nicht, dass das Spiel ihn fesseln wird. Er hat so eine Ahnung, dass er nichts anderes wird tun können, als in der beschämenden und überaus gefährlichen Sehnsucht zu schwelgen, die
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