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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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würden wir anfangen, uns gegenseitig umzubringen. Wie die Kakerlaken.»
    Cederna deutet ein Lächeln an. «Kann sein, dass du davonkommst, Jungfräulein. Du kennst diesen Geruch noch nicht.»
     
    Die erste Aufgabe, die dem dritten Zug der Charlie zugewiesen wird – seitdem sie den Fuß auf fremden Boden gesetzt hat, hört die sechsundsechzigste Kompanie auf ihren Kampfnamen –, ist die Errichtung eines gemauerten Raums zur Unterbringung der Waschmaschinen. Der Sand hat schon zwei Waschmaschinen ruiniert, zusammen mit anderem Altmaterial stehen sie jetzt in einer Ecke des Lagers übereinandergestapelt, die Trommeln voll mit leeren Dosen und Schrott.
    Ietri arbeitet seit zwei Stunden mit Di Salvo und vier Maurern aus dem Dorf. In Wirklichkeit beschränken sich die Soldaten darauf zu kontrollieren, dass die Afghanen keine Fehler machen. Es ist nicht klar, wer von ihnen Erfahrung auf dem Bau hat. Der Plan, dem sie folgen müssen, ist ungenau, auf der Zeichnung ist die Länge der Seitenwände nicht angegeben, so haben sie den Umfang nach Handspannen berechnet. Es ist kurz nach Mittag, die Sonnenstrahlen fallen senkrecht auf ihre nackten Schultern.
    «Ein Bier wär jetzt was», sagt Ietri.
    «Ja, eiskalt.»
    «Mit einer Zitronenscheibe am Strohhalm.»
    «Ich mag es, die Zitrone nach dem Bier zu lutschen.»
    Die Mauer, die sie bauen, kommt ihm gerade vor, jedenfalls dem Augenmaß nach, und doch ist irgendetwas merkwürdig daran. Sie sind bei der achten Reihe Ziegel, bald werden sie eine Leiter brauchen, und Ietri hofft, dass nicht er die Afghanen zum Magazin begleiten muss, um sie zu holen.
    Mit einem Schlag unterbrechen die Afghanen ihre Arbeit, lassen das Werkzeug aus der Hand fallen und breiten im einzigen schattigen Winkel ein paar Matten aus, die vorher an der Seite lehnten. Sie knien darauf nieder.
    «Was zum Henker machen die?»
    «Was glaubst du denn?»
    «Müssen sie ausgerechnet jetzt beten?»
    Di Salvo zuckt die Achseln. «Moslems beten andauernd. Sie sind Fundamentalisten.»
    Ietri wirft eine Portion Mörtel aus dem Eimer an die Mauer. Er verstreicht ihn mit der Kelle. Was für ein Wahnsinn, denkt er, dann dreht er sich wieder um und schaut den Afghanen zu. Sie machen eine Art Gymnastik: Sie beugen sich auf den Boden hinunter, richten sich auf. Dann kauern sie sich wieder zusammen, und dabei wiederholen sie eine Art Singsang. Einen Augenblick lang hat er Lust, es ihnen nachzumachen.
    «Leck mich am Arsch», sagt Di Salvo.
    «Ja, leck mich doch am Arsch», wiederholt der andere.
    Sie legen die Gewehre weg. Wenn die Afghanen Pause machen, können sie sich auch ein bisschen ausruhen. Di Salvo sucht in der Seitentasche seiner Hose nach dem Päckchen Zigaretten und bietet ihm eine an. Sie lehnen sich an die Mauer, dort, wo der Mörtel noch feucht ist.
    «Man hat uns hierhergeschickt, um eine Waschküche zu bauen», sagt Ietri. «Kommt dir das richtig vor?»
    «Nein, ganz und gar nicht.»
    Er kann es einfach nicht fassen. Man hatte ihm Amerikanerinnen versprochen, und hier ist weit und breit keine Spur davon, man hat ihn an der Nase herumgeführt (wow, die Amerikanerinnen!). Sicher, in Herat hat er welche gesehen, in den wenigen Tagen, die er dort war: Soldatinnen mit Pferdeschwanz, prallen Brüsten und einem Aussehen, als wollten sie dir auf dem Feldbett bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen reißen, aber dann hat man ihn nach Gulistan geschickt, um eine blöde Mauer zu bauen. Nein, um anderen beim Bauen zuzuschauen. Er kann sich auf der ganzen Welt keinen Ort denken, der weiter weg von jeder sexuellen Versuchung wäre als dieser hier.
    «Wenn man bedenkt, dass unsere Eltern hierhergekommen sind, um ihre Joints zu rauchen», sagt Di Salvo.
    «Wie, Joints?»
    «Du weißt doch, die sechziger Jahre. Diese bescheuerten Hippies.»
    «Ja, sicher», sagt Ietri. In Wirklichkeit weiß er nichts. Er denkt einen Augenblick lang nach. «Meine Eltern sind jedenfalls nicht hierhergekommen. Sie sind überhaupt nie irgendwohin gefahren.» Bei seiner Mutter ist er sich da sicher. Sein Vater könnte sogar hierhergekommen sein, nach Afghanistan, soviel er weiß, womöglich hat er sich einer Gruppe von Taliban angeschlossen und vergräbt jetzt IED s auf den Straßen. Er ist immer ein eher unberechenbarer Typ gewesen.
    «Ich hab das nur so dahingesagt. Auch meine Alten sind nie irgendwo gewesen. Aber das war die Generation. Sie haben Cannabis geraucht wie die Schlote, und dann hat jeder mit jedem geschlafen,

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