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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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Fahne wehen, okay? Ich sage nicht, dass ich bemerkte, wie die Fahne sich bewegte. Ich sage, dass ich sie wirklich fühlte. Ich war der Wind und die Fahne.»
    «Du warst der Wind?»
    Di Salvo zieht seinen Arm zurück. «Denkst du, dass ich rede wie ein bescheuerter Hippie?»
    «Nein. Nein, das finde ich nicht», sagt Ietri, ist aber verwirrt.
    «Kurz gesagt, das hatte nichts mit Traurigkeit oder Glück zu tun. Das sind … Einzelgefühle. Sie sind unvollständig. Während ich
alles
fühlte, alles auf einmal. Die Fahne und den Wind, alles.»
    «Ich verstehe nicht, was die Statue des Todes mit der Fahne zu tun hat.»
    «Sie haben miteinander zu tun, und wie.» Er kratzt sich am Bart. «Du siehst mich an, als würde ich doch Hippiescheiß daherreden.»
    «Nein. Erzähl weiter.»
    «Ich bin fertig. Das war’s, verstehst du? In mir hat sich etwas geöffnet.»
    «Eine Offenbarung», sagt Ietri.
    «Ich weiß nicht, ob das eine Offenbarung ist.»
    «Es ist eine Offenbarung, glaube ich.»
    «Ich hab gesagt, ich weiß nicht, was zum Teufel das ist. Es ist, was es ist. Ich versuche dir nur zu erklären, dass der Stoff, den Abib dir gibt, anders ist. Du fühlst dich anders damit. Du fühlst die Dinge.» Er wird plötzlich ungeduldig. «Also, willst du mitkommen?»
    Ietri interessiert sich nicht sonderlich für Drogen, aber er will den Kameraden nicht enttäuschen. «Vielleicht.»
    Unterdessen haben die Afghanen ihre Matten zusammengerollt und wieder angefangen zu arbeiten. Sie sprechen wenig, und wenn sie es tun, scheint es, als würden sie streiten. Er schaut auf die Uhr, zwanzig vor eins. Wenn er sich beeilt, kann er die Schlange in der Kantine vermeiden.
     
    Als drei Tage später der Augenblick gekommen ist, die Nase aus der FOB hinauszustrecken, ist er nicht mit von der Partie.
    «Heute gehen wir uns mal umschauen», sagt René am Morgen, «ich nehme Cederna, Camporesi, Pecone und Torsu mit.»
    Die Kameraden sehen den Auserwählten zu, wie sie sich an ihren Feldbetten ankleiden. Sie tun es feierlich, wie Helden der Antike, obwohl sie nicht mehr erwartet als eine ganz normale Patrouille auf dem Dorfbasar.
    Cederna trumpft am meisten auf, weil er auch der Tüchtigste ist. Gäbe es im dritten Zug der Charlie einen Peleiden Achilles, dann wäre er das, weshalb er sich den ersten Vers der Ilias knapp oberhalb des Gürtels auf den Rücken hat tätowieren lassen. Es ist auf Griechisch, der Tätowierer hat den Text mit einigen Fehlern aus einem Schulbuch von Agnese abgeschrieben – Cederna lässt ihn sich wieder und wieder vorlesen, wenn sie miteinander im Bett sind.
    In Hose und T-Shirt pflanzt er sich vor dem Bett von Mitrano auf, der hat begriffen, was auf ihn zukommt, und steht widerwillig und mit traurigem Blick auf.
    « HABEN DEINE ELTERN AUCH NORMALE KINDER ?»
    « JAWOHL , HERR STABSGEFREITER .»
    « BESTIMMT HABEN SIE ES BEREUT , DICH GEZEUGT ZU HABEN ! DU BIST DERMASSEN HÄSSLICH , DASS DU EIN MEISTERWERK DER MODERNEN KUNST SEIN KÖNNTEST ! WIE HEISST DU , FETTSACK ?»
    « VINCENZO MITRANO , ZU BEFEHL .»
    « DAS IST EIN ADELIGER NAME , BIST DU KÖNIGLICHEN GEBLÜTS ?»
    « NEIN , HERR STABSGEFREITER !»
    « UND LUTSCHST DU SCHWÄNZE ?»
    « NEIN , HERR STABSGEFREITER .»
    « BLÖDSINN ! DU SAUGST EINE MURMEL VON EINEM ENDE EINES GARTENSCHLAUCHS BIS ZUM ANDEREN !»
    « NEIN , HERR STABSGEFREITER !»
    « DER NAME MITRANO GEFÄLLT MIR NICHT ! NUR SCHWULE UND SEEMÄNNER HEISSEN MITRANO ! VON NUN AN WIRST DU FETTSACK HEISSEN !»
    « JAWOHL , HERR STABSGEFREITER !»
    « FINDEST DU MICH HÜBSCH , SOLDAT FETTSACK ? FINDEST DU MICH KOMISCH ?»
    « NEIN , HERR STABSGEFREITER !»
    « DANN REISS DIR DIESES IDIOTISCHE LÄCHELN AUS DER FRESSE !»
    Und so weiter und so fort, bis zu dem Punkt, da Mitrano am Boden niederkniet und Cederna die Kehle darbietet, der so tut, als würde er ihn würgen – und ein bisschen würgt er ihn auch wirklich, gerade so viel, bis er blau anläuft. Mattioli stachelt ihn an, weiterzumachen, die anderen lachen wie verrückt, auch wenn sie das Schauspiel schon Dutzende Male gesehen haben. Cederna kann die ersten vierzig Minuten von
Full Metal Jacket
aufsagen, Satz für Satz: Mitrano ist sein Soldat Paula, sein auserkorenes Opfer, und wie der amüsiert er sich überhaupt nicht. Wenn sie fertig sind, kehrt er auf sein Bett zurück und kauert sich in sich zusammen. Wenn er nicht mitspielen will, versetzt der Kamerad ihm so viele Schläge in den Nacken, dass er einen steifen Hals bekommt.
    Jetzt, da Cederna

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