Der menschliche Körper
schwärmen herbei wie die Wespen. René versucht sie zu verscheuchen, er fuchtelt mit den Armen.
«Ganz ruhig, Feldwebel. Sie werden sehen, sie tun Ihnen nichts», spottet Masiero.
«Wir sollten nicht zu viele auf einmal so nah an uns heranlassen», entgegnet René. Er zitiert die Dienstvorschriften.
«Erwarten Sie an einem so schönen Tag eine Bombe? Wenn Sie sich so aufführen, kann ich Ihnen nicht mehr erlauben auszugehen. Sie verschrecken mir ja alle meine kleinen Freunde.» Der Hauptmann beugt sich zu einem der Kinder hinunter und fährt ihm durchs Haar. «Mir scheint, Sie haben noch nichts von unserem Einsatz begriffen, Feldwebel.»
Cederna sieht, wie sein Vorgesetzter die Kröte schluckt. Er kann Masiero auch nicht leiden, gern würde er ihm das Knie in den Magen rammen. Er klopft René tröstend auf die Schulter und beginnt selbst, Bonbons zu verteilen.
Ein Kind, kleiner als die anderen und mit einer zerfetzten Schürze bekleidet, ist in Gefahr, überrannt zu werden. Cederna hebt es mit einem Ruck hoch, das Kind lässt es geschehen, starrt ihn aus weit aufgerissenen, wässrigen Augen an, eingetrockneter Rotz klebt ihm an der Nase.
«Hat deine Mama dich nie gebadet, armer Wurm?»
Die Antwort ist eine Art zahnloses Lächeln.
«Du verstehst nichts von dem, was ich dir sage, hm? Nein, du verstehst nichts. Dann kann ich zu dir sagen, was ich will. Dass du verlaust bist, zum Beispiel. Dreckig. Dass du stinkst. Darüber lachst du? Wirklich? Du stinkst, du stinkst. Du bist ekelhaft. Da schau, wie er lacht! Du willst nur dein Bonbon wie alle anderen, stimmt’s? Da hast du es. Oh, oh, langsam. Du versprichst mir aber, dass du, wenn du groß bist, kein Taliban wirst, verstanden? Sonst bin ich gezwungen, dir eine Kugel in dein Köpfchen zu schießen.» Er schwenkt das Gewehr vor ihm hin und her, das Kind folgt ihm mit dem Blick. «Torsu, he Torsu, komm her.»
Der Kamerad kommt angetrabt, gefolgt von seiner Kinderschar.
«Mach ein Foto von mir, komm.»
Auf einem Arm hält Cederna das Kind – das vergeblich versucht hat, das Bonbon auszuwickeln, und es dann so, wie es ist, in den Mund gesteckt hat –, mit dem anderen hält er das Gewehr, am Magazin gepackt, in die Höhe. Das ist eine scharfe Pose, er wird das Bild zur Komplettierung seines Profils im Netz verwenden.
«Bin ich gut getroffen? Mach noch eins, noch eins.»
Er setzt das Kind am Boden ab und wirft die letzten Bonbons, die er noch in der Tasche hat, weit weg, in den Staub. «Da. Holt sie euch.»
Nahrungsmittelvorräte
Die Versorgung erfolgt aus der Luft, unregelmäßig und ohne große Voranmeldung. Obwohl die von der FOB aufgegebenen Bestellungen immer sehr detailliert sind, verfahren die Bürokraten in Herat nach eigenem Gutdünken und versuchen, überschüssige Lagerbestände loszuwerden: Toilettenpapier statt Munition, Obstsäfte, wenn den Soldaten das Wasser fehlt. Seit sechs Tagen fliegen wegen des Nebels keine Hubschrauber über dem Gebiet. Wenn es noch länger so ginge, müssten die Soldaten auf die K-Rationen zurückgreifen. Zum Glück aber hat sich die Wetterlage in den letzten Stunden gebessert, der Himmel ist wieder blitzblau, und die Jungs von der Charlie haben sich in Erwartung eines Abwurfs auf der Fläche vor dem Camp versammelt.
Das Flugzeug erscheint in der Talsenke zwischen dem Hügel und dem Berg, leise und winzig wie ein Insekt. Die Augen der Jungs, alle mit verspiegelten Brillen, wandern in Richtung des schwarzen Punkts, aber keiner rührt sich von der Stelle oder öffnet die verschränkten Arme. Das Flugzeug verliert an Höhe, und jetzt erkennt man die immateriellen Kreise, die die Propeller beschreiben. Es hilft nichts: Sooft man auch eine Lockheed C 130 mit geöffneter Heckklappe gesehen habe mag, wie viele Stunden auch immer man krumm und steif in ihrem Inneren zugebracht haben mag, man kann nicht anders, als an einen Vogel mit aufgerissenem Arsch zu denken.
Die Paletten werden in rascher Folge abgeworfen, die Schnüre der Fallschirme – ein Dutzend insgesamt – spannen sich in der Luft, und die weißen Schirme öffnen sich vor dem kobaltblauen Himmel. Das Flugzeug wendet und ist in wenigen Sekunden verschwunden. Die abgeworfenen Pakete schaukeln in der Luft wie riesige Quallen. Aber etwas läuft schief. Ein Fallschirm wird von einem Windstoß erfasst, neigt sich zur Seite, bis er die Schnüre des nächsten berührt, als ob er Gesellschaft suchte. Er wickelt sich darum herum, und die Schnüre verknäueln sich
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