Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
Vom Netzwerk:
vom dritten Zug der Charlie. Die Vergiftung hat ihn den ganzen Nachmittag in Atem gehalten, er hat je zwei Imodium-Kapseln ausgegeben und enorme Dosen von Antibiotika für den Darm verabreicht, die jetzt knapp werden und die er daher halbieren muss. Er hat mehrfach den Zustand der Toiletten überprüft, an dem sich ablesen lässt, wie sich die Lage von Minute zu Minute verschlechtert: Im Augenblick sind drei Toiletten aus hygienischen Gründen unbrauchbar, eine ist mit einem Klumpen aus feuchtem Toilettenpapier verstopft, eine andere durch eine Taschenlampe, die im Abfluss stecken geblieben ist und wunderbarerweise noch leuchtet. Sie wirft Lichtblitze an die Metallwände und auf das Waschbecken.
    Die Luft im Zelt des dritten Zuges ist warm und übel riechend, aber der Oberleutnant bemerkt es nicht, genauso wenig wie er die fast irreale Stille bemerkt. Hier einzutreten ist nicht anders, als in irgendeins der Zelte einzutreten, die er schon besucht hat: Die Lager ähneln sich, die Soldaten auch, sie werden ja dazu ausgebildet, sich zu ähneln, und jetzt leiden sie alle an den gleichen Koliken und der gleichen Dehydrierung. Nichts lässt den Oberleutnant Egitto ahnen, dass sein Schicksal sich bald in ganz besonderer Weise mit dem dieser Abteilung verknüpfen wird. Wenn er später darüber nachdenkt, wird er diese Gleichgültigkeit als unheilvoll empfinden.
    «Wer ist hier der Verantwortliche?», fragt er.
    Ein Soldat mit nacktem, schweißüberströmtem Oberkörper setzt sich auf seinem Feldbett auf. «Feldwebel René. Zu Befehl.»
    «Bleiben Sie liegen», befiehlt der Oberleutnant. Er lässt diejenigen die Hand heben, die die Symptome des Staphylokokken-Befalls aufweisen, er zählt durch. Dann wendet er sich an den einzigen Gesunden: «Name?»
    «Salvatore Camporesi.»
    «Haben Sie nichts von dem Fleisch gegessen?»
    Camporesi zuckt mit den Achseln. «Und ob ich davon gegessen hab. Zwei ordentliche Portionen.»
    Der Oberleutnant befiehlt ihm, sich zur Kommandozentrale zu begeben, der Dienst für die Nachtwache muss eingeteilt werden.
    «Aber ich hatte gestern schon Nachtwache», protestiert Camporesi.
    Egitto antwortet seinerseits mit einem Achselzucken. «Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll. Es ist eine Notsituation.»
    «Hab eine gute Nacht, Campo», sagt ein Soldat spöttisch. «Wenn du eine Sternschnuppe siehst, sprich auch für mich einen Wunsch aus, Darling.»
    Camporesi spricht mit lauter Stimme den Wunsch aus, der Kamerad möge an seinen eigenen Exkrementen ersticken, dann zieht er die Stiefel an und schlendert zum Ausgang, während die anderen ihn mit zusammengeknüllten T-Shirts, schmutzigen Taschentüchern und Plastiklöffeln bewerfen.
    Egitto zieht die Spritzen auf, und die Jungs bringen sich in Stellung, auf der Seite liegend, die Unterhosen auf halbe Höhe der Hinterbacken heruntergezogen. Dem einen oder anderen entfährt ein Furz, oder er macht es extra, jedenfalls bekommt er Applaus. Unter ihnen herrscht vollkommene Freiheit, eine fast obszöne Freiheit, für sie alle ist der Körper der anderen nicht weniger vertraut als der eigene, auch für die einzige Frau in der Gruppe, die ungeniert ihre Pobacke hinhält.
    Einer der Soldaten ist in einem besonders kritischen Zustand. Egitto schreibt sich seinen Namen in ein Notizbuch, das er später brauchen wird, um dem Kommandanten Bericht zu erstatten: Angelo Torsu, Stabsgefreiter. In seinem Schlafsack und unter vier Decken klappert er mit den Zähnen. Er misst ihm die Temperatur. Achtunddreißig neun.
    «Vorhin waren es vierzig», bemerkt René.
    Egitto spürt den Blick des Feldwebels auf sich. Er ist ein aufmerksamer und fürsorglicher Zugführer, das kann man ihm am Gesicht ablesen. Sein Feldbett hat er in der Mitte des Zelts aufgeschlagen, um alle unter Kontrolle zu haben.
    «Er kann nicht mehr laufen. Das letzte Mal musste er sich hier erleichtern.»
    Es liegt kein Vorwurf in dem, was er sagt, und die anderen geben keine Kommentare ab. Dieser Körper, dem es schlechtgeht, gehört auch zu ihnen, und sie behandeln ihn mit Respekt. Egitto denkt, jemand wird sich die Mühe gemacht haben, dem Soldaten mit der Tüte zu helfen, dann hat er sie verschlossen und in den Abfall geworfen. Als er das für seinen Vater tun sollte, hat er es vorgezogen, eine Krankenschwester zu rufen. Was für ein Arzt ist das, der vor dem leidenden Menschen Ekel verspürt? Welcher Sohn verweigert es, sich um den Körper seines Vaters zu kümmern?
    «Wie oft?», fragt er den

Weitere Kostenlose Bücher