Der menschliche Körper
Beethoven, ein Menuett von Bach, von dem ich mich nur an das Thema erinnere, und das
Prélude
op. 28 Nr. 4 von Chopin, das mich mit seiner weichen Abwärtsbewegung im ersten Teil mit schmerzlicher Melancholie erfüllte. Aber mein Lieblingsstück war eindeutig
Un sospiro
von Franz Liszt, worin Marianna den Gipfel ihrer Virtuosität und die größte Intensität der Interpretation erreichte. Sie war bereits vierzehn und bereitete sich auf einen öffentlichen Auftritt vor, ihren ersten wirklichen Auftritt als Pianistin nach einer Ewigkeit des einsamen Lernens und Übens. Dorothy hatte in einer kleinen Barockkirche im Stadtzentrum ein Konzert ihrer Schülerinnen organisiert.
Marianna übte bis zum Überdruss an diesem Stück, das einige technische Schwierigkeiten aufwies, darunter das Überkreuzen der Arme im komplizierten Arpeggio am Anfang: Die linke Hand huschte über zwei Oktaven hinweg und musste dann schnell über die rechte greifen, um die Melodie in der oberen Tonlage zu vervollständigen. Das Stück war fast schöner zum Anschauen als zum Hören, während Marianna übte, öffnete ich die Tür einen Spaltbreit und beobachtete, wie ihre Finger sich anmutig bewegten, die Tastatur liebkosten, von den raschen Pupillen aufmerksam überwacht. Die Bewegungen waren so schnell, man mochte kaum glauben, dass sie die Tasten wirklich hinunterdrückte, der rechte kleine Finger war weit abgespreizt, als habe er sich vom Handteller gelöst.
Aber die heikle Stelle war weiter hinten, wo die Partitur, sich dem
languendo
nähernd, in eine schwindelerregende Abwärtsbewegung überging. An dieser Stelle blieb Marianna hängen, ihre kleinen Fingermuskeln kamen mit der Geschwindigkeit nicht zurecht, sie hielt an und ließ das Metronom mit seinen trockenen Schlägen weiterlaufen. Unerschütterlich fing sie ein paar Takte weiter vorn wieder an und spielte die Stelle noch einmal, einmal, zwei Mal, zehn Mal, bis sie meinte, die erforderliche Geläufigkeit erreicht zu haben. Oft aber blieb sie am Tag darauf wieder hängen, dann wurde sie wütend und schlug mit den Händen auf die Tastatur, sodass das Instrument ein schauriges Grollen von sich gab.
Eine Woche vor dem Konzert beherrschte sie das Stück jedenfalls vollkommen, und es kam der Zeitpunkt, sich um die Garderobe zu kümmern. Nini begleitete Marianna in ein Geschäft unter den Arkaden, und zusammen suchten sie ein ärmelloses, eng anliegendes Kleid aus, dazu Ballerinas. Für mich fielen eine marineblaue Hose und ein lachsfarbenes Hemd ab – letztere Farbe war in meinem Kleiderschrank vorherrschend, bevor sie vollständig daraus verschwand, um ein unpassendes Zusammenspiel zu vermeiden, wenn ich am Hals oder im Gesicht errötete. Während ich mich auf die Zehenspitzen stellte und im Badezimmerspiegel so viel wie möglich von meiner Gestalt zu erblicken versuchte, war ich mindestens so aufgeregt wie meine Schwester, oder wahrscheinlich – das sage ich heute – noch viel mehr als sie.
In der Kirche war es kalt, und die Zuhörer, etwa fünfzig insgesamt, behielten die Mäntel an, wodurch das Ereignis einen provisorischen Charakter bekam: Es wirkte, als müssten wir alle miteinander von einem Augenblick auf den anderen hinausstürzen. Dorothy legte ein Höchstmaß an Eleganz an den Tag und wurde mit warmem Beifall begrüßt, obwohl sie seit September den Tarif für Privatstunden von dreißig- auf fünfunddreißigtausend Lire erhöht hatte. Ihre Tochter saß in der ersten Reihe, etwas abseits, den fehlerhaften Mund gut verschlossen.
Marianna war als eine der Letzten dran, weil sie zu den fortgeschritteneren Schülerinnen gehörte. Ich zügelte meine Ungeduld, indem ich mich auf die Musik konzentrierte. Viele der Stücke, die die Mädchen vor ihr spielten, erkannte ich wieder, weil Marianna sie auch einmal geübt hatte. Keines der Mädchen schien mir auf ihrem Niveau, oder zumindest nicht so frühreif wie sie. Jedes Mal, wenn ein Mädchen auf das Podium stieg, hielt ich den Atem an, aus Angst, feststellen zu müssen, dass sie begabter war als Marianna oder ein beeindruckenderes Stück darbot. Aber keine war so begabt wie meine Schwester und kein Stück so beeindruckend wie
Un sospiro
von Franz Liszt.
Nini saß neben mir, ab und zu nahm sie meine Hand und drückte sie. Auch sie war nervös. Im Stillen studierte sie die Kleidung der anderen jungen Pianistinnen und wägte ab, ob sie bei Marianna nicht vielleicht übertrieben hatte. Höflich erwiderte sie das Komplizenschaft
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