Der menschliche Körper
schwach
heraus, und er ist sich sicher, dass auch der Junge sie gehört hat, in der Tat sagt er: «Sie sind noch da.»
«Soll ich sie wegschicken?»
Mitrano schaut zum Ausgang. Er schüttelt den Kopf. «Ist egal.»
«Sicher hat es sich um ein Missgeschick gehandelt.»
«Nein. Sie haben mich draußen gelassen. Ich saß dort, und sie haben mir eine Falle gestellt, um mich von meinem Platz zu vertreiben. Sie haben das mit Absicht gemacht.»
«Du kannst mit Hauptmann Masiero sprechen, wenn du das für richtig hältst.»
«Nein. Ich darf es niemand sagen, Doc.»
«Ist gut.»
Das Schweigen dauert drei, vielleicht vier Minuten lang. Eine Ewigkeit, wenn man so übermüdet in einer dunklen Höhle hockt.
«Wie alt bist du, Vincenzo?»
«Einundzwanzig, Herr Oberleutnant.»
«Gibt es niemanden, mit dem du reden möchtest? Ein Mädchen vielleicht? Das würde dir helfen.»
«Ich habe kein Mädchen.»
«Dann deine Mutter.»
Mitrano ballt die Fäuste. «Jetzt nicht», erwidert er barsch. Einen Augenblick später setzt er hinzu: «Ich habe einen Hund, wissen Sie, Doc?»
Egitto reagiert mit übertriebener Begeisterung. «Ach ja? Was denn für eine Rasse?»
«Ein Pinscher.»
«Sind das die mit der platten Schnauze?»
«Nein, das sind Bulldoggen. Pinscher haben eine lange Schnauze und spitze Ohren.»
Der Oberleutnant würde das Thema gern nutzen, um den Soldaten abzulenken, aber er kennt sich mit Hunden nicht aus. Er erinnert sich vage, dass er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben einen Welpen gewünscht hätte, oder nein, es war Marianna gewesen, die ihn wollte, und er wünschte ihn für sie – auf jeden Fall war nichts daraus geworden. Ernesto betrachtete Haustiere als schädliche Überträger von Keimen, und für Nini hätte ein weiterer Mitbewohner die Komplexität des ohnehin schon schwierigen Netzwerks der häuslichen Beziehungen nur erhöht. Egitto fragt sich, ob er etwas entbehren musste. Selbst wenn es so wäre, kümmert ihn diese Entbehrung schon seit geraumer Zeit nicht mehr.
«Doc?»
«Ja.»
«Ich komme hier raus. Irgendwann, wenn ich mich danach fühle, komme ich raus.»
«Aber jetzt nicht.»
«Nein, jetzt nicht, wenn es Ihnen recht ist.»
«Mir ist es recht.»
«Es tut mir leid, dass man Sie gerufen hat.»
«Kein Problem. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.»
«Es tut mir sehr leid.»
Egitto steht auf, wobei er sich mit den Armen abstützt. Er schüttelt den Staub von der Hose. Er ist fertig, hier. Mit dem Kopf berührt er die Decke des Bunkers.
«Doc?»
«Ja.»
«Könnten Sie noch einen Augenblick hierbleiben?»
«Sicher.»
Er setzt sich wieder, stößt mit dem Ellbogen an die Taschenlampe. Der Lichtkegel zeigt auf den Boden, lässt die Abdrücke der Stiefel im Sand erkennen: Jeder verwischt einen Teil des nächsten, fossile Reste eines Kampfes. In diesem Augenblick fängt der Soldat an zu weinen, erst leise, dann immer lauter. «Scheiße», stößt er zwischen den Zähnen hervor. Dann wiederholt er: «Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße», als ob das Gift, von dem er sich befreien will, in diesem Wort eingeschlossen wäre.
Egitto macht keine Anstalten, ihn zu unterbrechen, aber aus irgendeinem Grund richtet er den Blick lieber auf das Stückchen Himmel zwischen Wand und äußerem Schutzwall – es ist fast hell. Er lauscht auf das Weinen des Jungen, zerlegt es in seine Bestandteile: Kontraktion des Zwerchfells, die Nasenhöhlen, die sich mit Schleim füllen, die Atmung, die sich maximal beschleunigt und dann plötzlich beruhigt. Mitrano ist wieder ruhig. Egitto reicht ihm ein Taschentuch. «Fühlst du dich besser?»
«Ich glaube, ja.»
«Wir haben es jedenfalls nicht eilig.»
In Wirklichkeit ist er erschöpft. Am liebsten würde er sich hier auf den Boden legen und einschlafen. Er schließt einen Moment lang die Augen, der Kopf sinkt ihm nach vorn.
«Doc?»
Eine Sekunde genügt, und er befindet sich in einem wirren Traum, in einem Feuergefecht.
«Doc!»
«Was ist?»
Frauen
Der Sandsturm ist vorbei. Nichts an dem klaren Morgen erinnert an das Durcheinander des Gefechts, aber die Psyche der Männer ist noch erschüttert, und auf den Gesichtern derer, die nach und nach zum Frühstück eintrudeln, sind die Anzeichen von mangelndem Schlaf und unterdrückter Gereiztheit deutlich erkennbar. In der allgemeinen Unruhe laufen die Aktivitäten weiter wie gehabt: Die Schulungskräfte treffen um Punkt acht in dem kleinen Fort der afghanischen Polizei ein und
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