Der menschliche Körper
lassen.
«Schieß, verdammt noch mal!»
Die Schüsse treffen noch weiter vom Ziel entfernt. Zampieri stößt einen Schmerzensschrei aus, wegen ihres Busens, der an die Schulterstütze stößt. Masiero reißt sie mit einem heftigen Ruck herum und beginnt, sie zu schütteln. «Und du willst ein Schütze sein? Hä? Ein Schütze? Wir sind in Gulistan, verdammt. Hier bringt man uns um wegen solchen wie dir!»
Die Jungs des Zugs haben den Kopf leicht gesenkt. René dagegen ist entschlossen, dem Hauptmann die Stirn zu bieten, bis zuletzt.
«Und wenn du heute Nacht Wache gehabt hättest? Du hättest zugelassen, dass wir alle umgebracht werden. Das hier ist Krieg, und du kannst nicht mal mit einem Maschinengewehr umgehen!»
Zampieri ist erstarrt, sie scheint jeden Moment unter Masieros Griff zerbrechen zu wollen. Ihre Augäpfel sind gerötet.
«Herr Hauptmann», meldet René sich zu Wort.
Wütend fährt Masiero herum. «Was ist?»
«Vielleicht schüchtern Sie sie zu sehr ein.»
René bleibt ungerührt in Habachtstellung, während Masiero mit langsamen Schritten auf ihn zugeht, durch den Mund atmend.
«Ich
schüchtere
sie
ein
?»
«Die Männer haben diese Waffe bisher nie benutzt.»
«Ach herrje! Das tut mir aber leid. Vielleicht hätte ich der Signorina eine Spritzpistole geben sollen. Damit hat sie wohl schon geschossen?»
René schweigt. An seinem Gesichtsausdruck ändert sich nicht das mindeste, an dem seiner Männer, die schweigend am Fuß des Turms stehen, auch nicht. Sie sind zu strengster Ausdruckslosigkeit erzogen worden, dazu, die schlimmsten Gedanken gut verborgen zu halten, nicht in die Augen vordringen zu lassen, und Masiero war einer ihrer Lehrmeister. Der Hauptmann geht noch näher auf René zu, macht dicht vor seinem Gesicht halt. Er schaut auf das Dienstgradabzeichen an der Jacke, als ob es ihm nicht bestens bekannt wäre. «Feldwebel, sagen Sie mir, waren Sie je in ein Feuergefecht verwickelt? Ein echtes Feuergefecht, meine ich.»
«Nein.»
«Antworten Sie, wie man einem Vorgesetzten antwortet.»
«Nein, Herr Hauptmann.»
«Ich verstehe. Wie schade. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Bei diesem Einsatz wird es was. Und wissen Sie, warum? Weil hier scharf geschossen wird. Hier hasst man uns und will uns alle töten. Haben Sie das schöne Feuerwerk gestern Nacht mitgekriegt? Nun, wissen Sie, das ist kein Fest, und die werden nicht aufhören damit, bis sie dieses Lager dem Erdboden gleichgemacht und alle ungläubigen Hunde wie Sie und mich zerstückelt haben. Wissen Sie, was die Taliban mit ihren Gefangenen machen?»
«Nein, Herr Hauptmann.»
«Sie kreuzigen sie. Wie Jesus Christus. Können Sie sich das vorstellen, ein rostiger Nagel zwischen den Sehnen der Hand? Ihr da unten, könnt ihr euch das vorstellen? Und Sie, Mademoiselle, stellen Sie sich das vor? Verhungern oder ausgeblutet sterben. Das kann auch drei Tage dauern. Diese Idioten befeuchten dir die Lippen, damit es länger dauert. Und wissen Sie, was sie sonst noch machen, Feldwebel?»
«Nein.»
«Nein
und was
?»
«Nein, Herr Hauptmann.»
«Sie schlagen mit einem Knüppel auf dich ein, stundenlang, bis nicht mehr klar ist, ob du noch Kleider am Leib hast. Aber sie passen auf, dass sie dich nicht töten. Denn danach sperren sie dich in einen Raum voller Insekten und lassen den Rest der Arbeit dann von denen erledigen. Oder … fragen Sie mich oder was? Feldwebel!»
«Oder was, Herr Hauptmann?»
«Oder sie hängen dich an den Füßen auf, bis alles Blut ins Hirn strömt und es zum Platzen bringt. BUMM ! Haben Sie jetzt begriffen, warum es nützlich ist, ein MG laden zu können?»
«Jawohl, Herr Hauptmann.»
«Und sagt die Signorina mit der blonden Mähne hier hinten auch, dass sie es kapiert hat?»
«Jawohl, Herr Hauptmann.»
«Denn es wäre doch schade, wenn diese schönen goldblonden Haare mit Blut verschmiert würden, finden Sie nicht auch?»
«Jawohl, Herr Hauptmann.»
Masiero macht eine Pause. Die Stille ist so absolut, dass René den eigenen Atem hören kann. «Gut», sagt er schließlich, «dann wären wir hier fertig.»
Der Hauptmann steigt die Leiter hinunter. Die Soldaten nehmen Haltung an, als er an ihnen vorbeigeht, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Oben auf dem Turm lächelt René Zampieri zu, wie um zu sagen, sie solle es sich nicht zu Herzen nehmen, es sei nichts Schlimmes passiert.
Die Abenddämmerung ist Oberleutnant Egitto die liebste Tageszeit. Die Luft wird mit einem Schlag frischer, es ist aber
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