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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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ihn in Schutz zu nehmen. Sie sind bloß ein Haufen Heuchler, das ist die Wahrheit, und er sagt es: «Ihr seid ein Haufen Heuchler.» Aber das verschafft ihm keine große Erleichterung und hält die in ihm aufsteigende Scham nicht auf, ein Gefühl, an das er nicht gewöhnt ist. Sogar Ietri weicht seinem Blick aus, als würde er sich für ihn schämen. «Ihr seid ein Haufen Heuchler», wiederholt Cederna leise.
    Mitrano zieht ihn am Ärmel. «Da war aber ich», jammert er.
    Cederna packt seinen Arm und quetscht ihn, bis er um Erbarmen bittet.
     
    «Können Sie Burraco spielen, Oberleutnant?»
    «Nein, Herr Oberst.»
    «Briscola?»
    «Auch nicht.»
    «Aber Sie werden doch wenigstens Tresette können!»
    «Herr Oberst, wollen Sie wirklich Karten spielen …
jetzt

    «Haben Sie eine bessere Idee? Schlagen Sie aber nicht Dame vor, das ist ein Spiel für Idioten.» Er teilt den Stoß Karten in der Mitte und betrachtet die aufgedeckte Karte: ein Herzbube. «Was für eine Langeweile. Glauben Sie mir. Diesen Krieg werden wir am Ende so verlieren. Diese Schurken werden uns durch Langeweile töten.»
     
    Das Einzige, was sich im Bunker bewegt, sind kleine haarige Spinnen auf zittrigen Beinen, die ihrerseits Schutz vor dem Sturm und den Bomben gesucht haben. Sie laufen mit dem Kopf nach unten an der einzigen von den Männern unbesetzten Stelle, das heißt an der Decke, die voll davon ist. Die Soldaten folgen ihnen mit Blicken, weil sie nicht viel anderes zum Anschauen haben. Mattioli streckt den Arm aus und nimmt eine zwischen Daumen und Zeigefinger, sieht ihr zu, wie sie zappelt, dann zerdrückt er sie.
    Feldwebel René bricht als Erster das Schweigen – das keine richtige Stille ist, denn der Beschuss mit Mörsergranaten geht weiter. Er spricht einen Satz, den unter Umständen wie diesen niemand hören möchte: «Wo ist Torsu?»
    Er hat seine Männer durchgezählt und bemerkt, dass der Sarde fehlt. Eine Sekunde hat genügt, und ihm war klar, um wen es sich handelt, mit den Jahren ist der Appell eine Frage des Instinkts geworden. Er bräuchte nicht länger, um festzustellen, welcher Finger ihm fehlt, wenn ihm einer abgerissen würde.
    Die Soldaten schweigen bestürzt. Dann sagt Allais: «Er ist noch im Zelt.» Zur allgemeinen Entschuldigung setzt er hinzu: «Es geht ihm zu schlecht. Er kann nicht aufstehen.»
    In den letzten Tagen ist Torsus Fieber wie verrückt rauf- und runtergegangen, häufig bis auf vierzig hoch. In den schlimmsten Augenblicken murmelt er sinnlose Sätze, über die die Kameraden sich totlachen. Er kann nichts Festes schlucken, er ist auch im Gesicht abgemagert, die Backenknochen unter den Augen treten vor, und obwohl er nichts isst, hat der Durchfall nicht nachgelassen. Nachts hört René, wie er vor Kälte mit den Zähnen klappert, und ein paarmal musste er schon Ohropax verwenden.
    «Wir müssen ihn holen gehen», fordert Zampieri sie auf, aber es liegt etwas zu Hysterisches in ihrer Bemerkung, und sie überzeugt nicht.
    Einige Jungs richten sich halb auf, unentschlossen, sie warten auf den Befehl des Feldwebels. Da er nicht kommt, setzen sie sich wieder. René befragt Cederna mit Blicken: Das ist sein verlässlichster Mann, der einzige, mit dem zu messen er sich verpflichtet fühlt.
    «Wir können ihn nicht hierherbringen», sagt Cederna. «Er kann nicht einmal sitzen, und am Boden ist kein Platz, um ihn hinzulegen.»
    «Du bist der übliche Scheißkerl», fährt Zampieri ihn an.
    «Und du die übliche Idiotin.»
    «Hast du vielleicht Angst, Torsu könnte dir den Platz wegnehmen?»
    «Nein. Ich habe Angst, dass jemand getötet wird.»
    «Seit wann bist du denn so altruistisch? Ich dachte, das einzig Wichtige wäre, dass
du
nicht getötet wirst.»
    «Du weißt nicht, wovon du redest, Zampieri.»
    «Ach nein? Und warum ist Mitrano jetzt draußen, während du hier an meiner Arschbacke klebst?»
    «An deiner Arschbacke kleben höchstens Zecken.»
    «Hört auf!», greift René ein. Er braucht Ruhe, er muss nachdenken. Abgesehen von der Mühe, Torsu in seinem Zustand hierherzutransportieren, bleibt das Raumproblem. Sie könnten ihn in die Kommandozentrale bringen, aber da müsste man den Platz überqueren, die exponierteste Stelle in der FOB . Er müsste vier oder fünf Männer ernstlicher Gefahr aussetzen, aus übertriebener Rücksicht auf einen. Hat das Sinn?
    Cederna schaut ihm fest in die Augen, als ob er seine Gedanken lesen könnte. Er schüttelt den Kopf.
    Es gibt eine weitere Serie von

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