Der menschliche Körper
bringen den Männern bei, wie man einen Lieferwagen durchsucht und verdächtige Insassen schikaniert; eine Patrouille dringt bis zu einer noch nicht erkundeten Ansiedlung in der Nähe von Maydan Jabha vor, während die anderen sich häuslichen Tätigkeiten widmen, die sie unter anderen Umständen als wenig männlich einstufen würden – Wäsche waschen, den Staub von den Zelten fegen, mit kübelweise Wasser die Toiletten reinigen.
Eine neue Bewusstheit lässt sie jedoch unmerklich erzittern. Die Veteranen, die dieses Gefühl von anderen Einsätzen her kennen, nehmen es gleichgültig hin und antworten den Rekruten, die Trost suchen, ja, wo glaubst du denn, dass du bist, in einer Ferienkolonie? Aber auch sie, erprobte und abgehärtete Kämpfer, sehen die uneinnehmbare Festung, die sie errichtet haben, zum ersten Mal als das, was sie in Wirklichkeit ist: eine allen Widrigkeiten ausgesetzte Sandburg.
Um elf Uhr ist der dritte Zug zu einer Schießübung am Fuß des Westturms angetreten. Die Jungs warten, den Hintern gegen den Tisch gelehnt, wo die Waffen blitzblank zum Gebrauch parat liegen, oder im Schatten, die Schultern an die Wand aus Hesco Bastions gelehnt. Sie bemühen sich, locker zu wirken, ja gelangweilt. In Wirklichkeit sind sie erschöpft und ein bisschen niedergeschlagen, keiner hat mehr etwas zu sagen, nachdem sie den Rest der Nacht bei brennenden Glühlampen im Zelt zugebracht haben, die einen mit vergeblich geschlossenen Augen, um ein paar Stunden Schlaf zu ergattern, die anderen immer wieder die Dynamik des Angriffs erörternd (von der keiner groß was begriffen hat), alle aber mit gespitzten Ohren, auf eine weitere Explosion gefasst. Feldwebel René hat sich den Kopf zerbrochen nach ein paar ermutigenden Worten für seine Jungs, aber es ist ihm nichts eingefallen. Und am Schluss hat er sich damit begnügt zu sagen, wir sind im Krieg, das wissen wir, als ob das ihre Schuld wäre.
Die Gewehrläufe glänzen in der Sonne, und die beiden Kisten Munition machen mehr als einem von ihnen Lust, die Waffe zu laden, aus dem Camp hinauszulaufen und wahllos auf alle Afghanen zu schießen, die ihnen vor den Lauf kommen. René kennt diese Raserei, er verspürt sie selbst, und in den Schulungskursen ist er darauf vorbereitet worden («eine natürliche Reaktion, menschlich, die aber unter Kontrolle gebracht werden muss»). Etwas unbeholfen gibt Pecone der allgemeinen Stimmung Ausdruck, als er ein Gewehr anlegt und damit auf die Berge und dann auf den Himmel zielt, geduckt und zackig um sich schauend. «Kommt raus, ihr Drecksäcke! Ich mach euch kalt, einen nach dem anderen. Peng! Peng!»
«Leg die Waffe weg. Oder du machst noch einen von uns kalt», sagt René. Das sollte ein Witz sein, aber es klingt schaurig, und keiner lacht.
Am Ende des Platzes taucht Hauptmann Masiero auf, die herumlümmelnden Soldaten richten sich auf und nehmen Haltung an. Der Oberst hat verfügt, dass während des Aufenthalts in der FOB der Hauptmann die Schießübungen auf dem Schießplatz leitet, während für gewöhnlich jeder Zug das intern regelt. Überflüssig zu sagen, dass René über die Neuigkeit gar nicht erfreut ist, er fühlt sich zurückgesetzt. Er empfindet eine herzliche Abneigung für Masiero, er hält ihn schlichtweg für einen Vollidioten und Arschkriecher der schlimmsten Sorte. Soweit er weiß, ist die Abneigung gegenseitig.
Als der Hauptmann den Eckturm erreicht, haben die Jungs in einer Reihe Aufstellung genommen. «Ist die Waffe bereit?»
«Jawohl.»
«Dann fangen wir an, los.»
Einer nach dem anderen klettern sie die Holzleiter hinauf. René hält einen Patronengurt für sie bereit. Masiero tritt hinter jeden Einzelnen und wiederholt ihm die Weisung noch einmal dicht am Ohr: «Siehst du den Hügel da drüben? Da stehen drei Fässer. Ziel auf das rote in der Mitte. Kurze Feuerstöße und fest in die Schulter anziehen. Das MG ist ein Miststück, das sich davonmachen will, das muss man bedenken. Du musst es unten halten, verstanden? Unten. Lade und schieß, wenn du so weit bist. Nimm Ohrenschützer, wenn du dir nicht das Trommelfell zerfetzen lassen willst.»
René schießt als Erster, tadellos. Wenn das Fass getroffen ist, wird es ein Stück hochgeschleudert und kehrt in seine Position zurück. Die Projektile, die nicht treffen, produzieren Rauchwölkchen in den Felsen und im niedrigen Gestrüpp ringsum. Masiero kann sich allerdings eine Spitze nicht verkneifen: «Ziemlich gut, Feldwebel. Versuchen Sie, etwas
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