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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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noch nicht so schneidend kalt wie in der Nacht. Im Abendlicht scheint die FOB kleiner zu werden, und auf dem mit Steinen übersäten zentralen Platz sind endlich andere Farben zu sehen als das übliche Ocker und Grün: Die Jungs laufen in hellblauen, rosa- und orangefarbenen Bademänteln und Flipflops herum. Ein paar Stunden lang herrscht eine Atmosphäre friedlicher Alltäglichkeit. Auch die hartnäckige Apathie des Oberleutnants bekommt Risse, und unverhoffte Anwandlungen von guter Laune suchen ihn heim.
    Neben den Duschen gibt es ein Zelt, das mit einem Heizstrahler ausgestattet ist und als Umkleideraum dient, aber Egitto zieht sich ungern vor seinen Kameraden aus, lieber in der Duschkabine, auch wenn es dort zu eng ist. Er hat eine Technik entwickelt, auf einem und dann auf dem anderen Bein balancierend sich aus- und wieder anzuziehen, ohne dass die Füße mit dem dreckigen Boden unter den Badelatschen in Berührung kommen. Das Überleben in der FOB erfordert solche Fähigkeiten für eine Reihe von unwesentlichen Dingen.
    Das Wasser ist lauwarm, nicht wirklich heiß, aber nach zehn Sekunden wirkt es recht angenehm. Jemand hat ein Duschgel auf der Konsole vergessen. Egitto schraubt den Verschluss auf und riecht daran: Es hat einen kräftigen, herben und gnadenlos maskulinen Duft, wie er häufig in den Umkleideräumen der Kaserne anzutreffen ist. Die Jungs lieben es, sich in dichte Duftwolken zu hüllen, sie besprühen sich den Brustkorb, ja sogar die Genitalien mit aufdringlichen Deodorants, deren Geruch dann in der feuchten Luft hängenbleibt – ein weiterer Unterschied zwischen ihm und ihnen. Der Oberleutnant wäscht sich mit neutraler Seife aus der Apotheke.
    Er schüttet etwas von der Flüssigkeit in die Hand und reibt sich Brust und Schultern ein. An den exponiertesten Stellen zeigen sich kleine dunkle Schrunden, die sich gleich wieder schließen. Der Oberleutnant hält den Wasserstrahl auf die am Boden verstreuten abgestorbenen Hautschuppen, bis sie im Abfluss verschwinden. Vielleicht wartet der Besitzer der Flasche vor der Tür. Wenn Egitto an ihm vorbeigeht, wird er den Duft seines Duschgels wiedererkennen, und Gott weiß, wie er reagieren könnte. Die Jungs sind unberechenbar. Er hätte jedenfalls recht, man klaut einem Kameraden nicht die Seife, das ist eines der Vergehen, die auf einem Vorposten mitten in der Wüste gigantische Bedeutung erlangen können. Er nimmt noch etwas von dem Gel und seift sich Schritt und Beine ein. Dann bleibt er mit geschlossenen Augen unter der Dusche stehen, bis jemand an die Tür klopft. Seine drei Minuten Duschzeit sind um.
    Als er in die Krankenstation zurückkehrt, ist der Reißverschluss am Zelt halb geöffnet. «Ist da jemand?»
    Eine Frauenstimme kommt von der anderen Seite des grünen Vorhangs. «Alessandro? Bist du’s?»
    Der Vorhang öffnet sich, und ein nackter Arm kommt zum Vorschein, eine Schulter, ein Stück weißes Handtuch, dann das runde Gesicht von Irene Sammartino mit hochgesteckten Haaren. Ihr Hologramm, halb nackt, wird aus einem zeitlich und räumlich sehr fernen Anderswo vor den Oberleutnant projiziert. Verblüfft weicht Egitto vor der Erscheinung zurück.
    Die Frau lächelt ihn an. «Ich habe dieses Feldbett genommen. Ich wusste nicht, auf welcher Seite du schläfst. Es war nicht zu erkennen, ob es von jemandem benutzt wird.»
    «Was machst du hier?»
    Irene neigt den Kopf zur Seite und verschränkt die nackten Arme vor der Brust – ihr Busen war nie sehr groß, aber auch nicht winzig. Egitto erinnert sich vage, wie es war, eine Brust mit der Hand zu umschließen.
    «Empfängt man so eine alte Freundin? Komm her, lass dir einen Kuss geben.»
    Widerstrebend geht Egitto auf sie zu. Irene beobachtet ihn aufmerksam, sie sieht zu ihm auf, denn sie ist ein wenig kleiner als er, sie scheint sich vergewissern zu wollen, ob noch alles an seinem Platz ist. «Du siehst immer noch eher gut aus», stellt sie befriedigt fest.
    Das Handtuch bedeckt nur einen Teil ihrer Schenkel und schwingt bei jeder ihrer Bewegungen hin und her. Es ist auf der Höhe des Schlüsselbeins nicht zu einem Knoten gebunden, sondern nur mit einem Zipfel unter den Rand gesteckt, es könnte jeden Moment aufgehen und den ganzen Körper freigeben. Egitto weiß nicht, warum er diese Möglichkeit in Erwägung zieht. Da ist Irene Sammartino, barfuß in seinem Zelt, und er hat keine Ahnung, warum, er weiß weder, woher sie kommt, ob sie vom Himmel gefallen oder der Erde entsprossen ist, noch,

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