Der menschliche Körper
ist kotzübel. Er schreibt es hin, löscht es, dann schreibt er es wieder, bleibt ein Weilchen sitzen und schaut, schließlich drückt er die Sendetaste.
THOR _ SARDEGNA : Bist du ein Mann?
Seine virtuelle Freundin – oder sein Freund, an diesem Punkt weiß er gar nichts mehr – nimmt sich Zeit zum Nachdenken. Das ist keine Frage, die Nachdenken erfordert: Man ist ein Mann oder nicht, es gibt wenig so simple Fragen auf der Welt. Wenn er zögert, dann deshalb, weil er überlegt, in welcher Weise er die Wahrheit umgehen kann. Immer wieder kontrolliert Torsu den Zustand seiner unteren Extremitäten. Bald schon wird er sich missgebildet wiederfinden, und allein.
TERSICORE 89 : Du tust mir leid. Ich grüße dich.
Tersicore 89 schaltet sofort aus. Torsu denkt, dass sie nun wohl miteinander gebrochen haben, und im ersten Moment ist ihm das gar nicht sonderlich unangenehm.
Am Nachmittag, während er den Platz überquert (mit dem Gefühl zu hinken, als ob das Becken aus der Balance wäre), sagt er sich spontan, gleich schreib ich an Tersicore 89 , und dieser Gedanke lässt ihn zusammenfahren und erstarren. Was zum Teufel ist ihm da eigentlich in den Sinn gekommen? Es ist nicht möglich, dass Tersicore 89 ein Mann ist, nicht nach all den wunderbaren und intimen Dingen, die sie sich geschrieben haben. Es muss die Erschöpfung gewesen sein, die ihn zu einer so absurden Sache verleitet hat. Und diese Schnüfflerin Zampieri. Das Problem ist, dass er jetzt nicht weiß, wie er das wiedergutmachen soll, er ist nicht gut in Entschuldigungen. Aber was sorgt er sich? Er wird bestimmt einen Weg finden.
Der Optimismus fegt für einen Augenblick auch den quälenden Gedanken an die Beine weg. In der Tat, als er seine Entdeckung kurz zuvor dem Doc gestand – besser, er erfuhr es gleich, wenn sie ihn wegschicken mussten, dann sollten sie das so bald wie möglich tun –, beschränkte der sich auf ein skeptisches Kopfschütteln: «Nach Abschluss der Wachstumsphase wachsen die Knochen nicht mehr.» Im Gegenzug hat er ihm eine Reihe von absurden Krankheiten aufgezählt, die angesichts seiner schwachen Reaktion auf die Medikamente in Betracht kamen: Cholera, Typhus, eine Amöbeninfektion und noch andere, an die er sich nicht mehr erinnert.
Die mangelnde Anteilnahme des Doc kränkt ihn etwas. Er ist ja ziemlich in Ordnung, der Oberleutnant Egitto, er hat ihn regelmäßig untersucht, hat auch nicht eine Injektion ausgelassen, aber er hat immer so eine schroffe Art, er sagt nicht ein Wort mehr als notwendig. Was soll’s. Jetzt weiß er, dass die Sache mit dem Bein nicht schlimm ist, heute Vormittag musste er nur einmal auf die Toilette, und bald wird er Tersicore 89 wieder ganz für sich haben. Guten Mutes lenkt er seine Schritte zum Zelt.
Der Schrecken, der ihm beim Anblick der vor seinem Fuß zusammengerollten Schlange durch den Körper fährt, verleiht ihm blitzartig ungeahnte Kräfte – Beweis dafür, dass sein Reaktionsvermögen, wenn’s darauf ankommt, intakt ist. Torsu prallt zurück, er geht noch ein paar Schritte rückwärts, stolpert, fängt sich wieder, ohne das Reptil aus den Augen zu lassen.
«Scheiße!», schreit er. Vor Schreck prickelt es ihn im ganzen Gesicht.
Die Schlange wiegt ihren dreieckigen Kopf nach der einen und der anderen Seite, wie benommen. Ihre Haut ist glänzend, hellblau, von noch helleren Ringen gezeichnet. Torsu wird schwindlig, einen Moment lang vernebelt das Fieber ihm wieder das Hirn, und er betrachtet das Reptil aus der Distanz wie eine Fiebervision. Die Schlange dreht sich um hundertachtzig Grad, entrollt sich zu ihrer ganzen Länge und beginnt sich von Torsu wegzubewegen. Der Obergefreite ist fasziniert. Er sieht sich suchend um. Endlich kniet er nieder und nimmt vorsichtig einen der großen Ziegelsteine, die rund um den Zeltpflock aufgeschichtet sind. «Halt still», flüstert er.
Er weiß sehr wohl, dass Schlangen flink sind. Einmal hat er einen Dokumentarfilm über die Boa Constrictor gesehen, und er erinnert sich noch an die rasche Bewegung, mit der sie vorschnellt. Er fragt sich, ob das hier eine von denen ist, die würgen, oder ob sie in ihren Drüsen Gift hat. Man weiß es nicht: Schlangen ähneln sich alle ein bisschen. Er hebt den Ziegelstein mit beiden Händen hoch, hält die Luft an und wirft ihn nach vorn.
Der Kopf der Schlange platzt auf, nach allen Seiten bläuliches Blut verspritzend, der Ziegelstein bleibt einen Moment lang auf einer Kante stehen, dann fällt er auf den
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