Der menschliche Körper
Stunden um Stunden die Berge rauf- und runtergelaufen? Wenn Zampieri nicht aufhört, ihn so anzustarren, könnte er wirklich in Tränen ausbrechen. Er lehnt sich auf die Motorhaube des Lince. Sie ist glühend heiß, aber er geht nicht weg. Er ist reglos an der Hauswand stehen geblieben, während die anderen das Innere durchsuchten. Als sie herauskamen und die Familie herausführten, hat er sich angehängt wie der letzte der sieben Zwerge, der kleine, dem der Kittel zu lang ist.
Cederna überfällt ihn von hinten. Wie eine Furie wirft er sich auf ihn, packt ihn am Kragen seines Tarnanzugs und zwingt ihn zu Boden. «Wolltest du dich umbringen lassen, Jungfräulein, hä? Wolltest du, dass sie dir ein Loch in den Bauch schießen, du Hurensohn? Hier? Wolltest du ein Scheißloch hier?»
Er presst ihm ein Knie in die Magengrube, gegen die Bleiplatte der kugelsicheren Weste. Ietri schützt sich das Gesicht mit den Händen. «Entschuldige», keucht er.
«Entschuldige? Ents
chuld
ige? Einen Scheißdreck, Jungfräulein! Entschuldige dich beim Herrgott. Er war es, der dich gerettet hat.»
Cederna gibt ihm eine Ohrfeige, dann noch eine. Schnelle Schläge, die ihn überraschen wie Blitze und ihm den Blick trüben. Er nimmt eine Handvoll Erde und wirft sie Ietri ins Gesicht, vielleicht will er sie ihm in den Mund stopfen, ihn ersticken, aber dann tut er es doch nicht. Ietri wehrt sich nicht, der andere hat recht. Er fühlt, dass sein Brustkorb jeden Moment nachgeben könnte. Erde dringt ihm in die Nase und in die Augen.
Zampieri kommt ihm zu Hilfe. «Lass ihn los», sagt sie, aber Cederna stößt sie weg.
«Warum bist du nicht zur Seite gegangen, hä? Warum bist du nicht zur Seite gegangen, du Vollidiot?» Seine Augen sind rot unterlaufen, der Blick stier. Er versetzt ihm noch einen Stoß mit dem Knie, Ietri bleibt die Luft weg. «Verdammt!», wettert Cederna, dann lässt er ihn los und geht fluchend davon.
Ietri windet sich, er hustet lang, ohne aufhören zu können. Nachdem er die Tür eingetreten hat, ist er stocksteif stehen geblieben, bis Cederna ihm Deckung gegeben hat. Wenn es dadrin ein Gewehr gegeben hätte, befänden sie sich jetzt in den Armen des Schöpfers. Seine erste Aktion war ein totaler Misserfolg, das haben alle gesehen. Der Verstand hat ihn fast sofort verlassen, und der Instinkt konnte nicht aushelfen. Nicht einmal der schlechteste, nicht einmal der unerfahrenste Soldat der Welt hätte sich so benommen wie er. Sicher denkt auch René so: Als er ihm vorhin zwei Klapse auf den Hintern gab und bravo sagte, glaubte er das nicht wirklich, das war nur, um ihm Mut zu machen, und in der Tat hat er sich auch gleich abgewandt.
Zampieri kniet neben ihm nieder. «Schau nur, wie er dich zugerichtet hat», sagt sie.
Sie nimmt ihre Kufiya ab, schüttet aus der Feldflasche etwas Wasser darauf und wringt sie aus. Sie betupft ihm das Gesicht, zuerst die Stirn, dann die Wangen.
«Was machst du?»
«Pssst. Mach die Augen zu.»
Sie tränkt die Kufiya noch einmal mit Wasser und wischt ihm den Hals ab. Als sie hinter seinen Ohren entlangfährt, fühlt Ietri intensive Lust, er schaudert. «Ich weiß nicht, warum er sich manchmal wie ein Idiot benimmt», sagt er.
Sie lächelt ihn an. «Er mag dich. Das ist alles.»
Doch das stimmt nicht. Cederna hat ihn nicht angegriffen, weil er ihn gernhat. Er hat ihn angegriffen, weil er selbst dabei hätte draufgehen können. Ietri hat sie alle miteinander in Gefahr gebracht. Er versucht aufzustehen, aber das Mädchen hält ihn nieder. «Warte.»
Sie fährt mit dem Stoff unter seiner Nase entlang, um den eingetrockneten Rotz abzuwischen.
«Ekelt dich das nicht?»
«Ekeln? Kein bisschen.»
Symbole und Überraschungen
Torsus Krankheit nimmt kein Ende. Die Lebensmittelvergiftung hat ihm die Ruhr eingetragen, die Ruhr das Fieber. Um es zu senken, hat er Antibiotika eingenommen, die einen Abszess am Zahnfleisch und weiteres Fieber verursacht haben, das ihn so lang ans Bett fesselte, bis er Hämorrhoiden bekam. Unter den plötzlichen Stichen weint er wie ein Kind. Und als ob das nicht genügte, fühlt er sich jetzt, da die Temperatur unter Kontrolle ist, wirklich niedergeschlagen. Die Kameraden behandeln ihn mit Gleichgültigkeit oder sind offen feindselig. Wenn sie ihm die Mahlzeiten ins Zelt bringen, ist das Essen kalt und noch ekelhafter als gewöhnlich. Keiner bleibt gern, um ihm am Nachmittag Gesellschaft zu leisten, und all diese Stunden allein im Bett haben die Macht, ihn zu
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