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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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    An: flavia_c_magnasco@****.it
    Betreff: Re: Re: Re: Re: Re: Große Neuigkeit!!!
    Mittwoch, 06 .  10 .  2010 , h 0 : 13
     
    Schatz, mach dir nicht immer so viele Sorgen wegen Gabriele. Er ist ein Kind. Hör nicht auf all das, was man dir sagt. Der Kinderarzt war doch deutlich, oder nicht? Er wird sprechen, wenn er das Bedürfnis danach verspürt. Vermutlich fühlt er sich vorläufig gut so. Und weißt du, was ich dir sage? Umso besser, wenn er lernt, sich zur Wehr zu setzen. Er war immer ein bisschen ängstlich und allzu freundlich. Die Welt da draußen ist gnadenlos. Zu gern hätte ich das Gesicht von dem Jungen gesehen, den er auf die Bretter geschickt hat. Wenn ich heimkomme, werde ich ihm zwei, drei Handgriffe beibringen. Und ich hätte da auch ein paar interessante, die ich mit dir ausprobieren könnte …
    Weißt du, dass Torsu eine Schlange gefunden hat? Sie war ganz nah bei unserem Zelt. Du würdest vor Angst sterben, wenn du sie sehen könntest. Dieser hirnamputierte Sarde hat ihr mit einem Stein den Kopf zerschmettert. Er hat sie wie eine Salami aufgehängt, und wir haben wie die Blöden darum herumgetanzt, wie eine Art Eingeborenenstamm, das war lustig. Erinnerst du dich an die Viper, die wir im Canzoi-Tal auf dem Weg gefunden haben? Sicher erinnerst du dich daran. Den Rest des Weges hast du dich an meinen Arm geklammert. Du warst total verschreckt, Signora Camporesi. Sobald ich zu Hause bin, fülle ich unser Schlafzimmer mit Schlangen, Spinnen, Kakerlaken und Mäusen an, so bleibst du die ganze Zeit an mir kleben.
    Es ist sehr spät. Ich gehe schlafen. Ruf bitte meine Mutter an und sag ihr, dass alles in Ordnung ist. In den letzten Tagen konnte ich nicht mit ihr reden, und ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen macht.
    S.
     
    PS : Du kannst deine Haare blau, kurz, glatt tragen oder wie immer du willst, ich bin sowieso verrückt nach dir.

Schüsse in der Nacht
    «Ich habe da einen Streich vor», kündigt Cederna Ietri an, während sie sich frühmorgens rasieren.
    «Was für einen Streich?»
    «Sag mir erst, ob du mitmachst, dann erklär ich es dir.»
    Sie tauchen ihre Rasierer in dieselbe Schüssel mit warmem Wasser, die auf dem Boden steht. Der Rasierschaum schwimmt flockig an der Oberfläche. Cederna rasiert sich vorsichtig, er hat Pickel bekommen und muss aufpassen. Den unbändigen Tatendrang, der ihn an gewissen Tagen so wie heute packt, kann er sich nicht erklären. Er weiß nur, dass er aufwacht und eine wahnsinnige Lust hat, etwas anzustellen, handgreiflich zu werden, Personen oder Dinge zu zerstören, die Ordnung umzuwerfen. Das war schon so, als er klein war, und jeden dieser Tage hat er in halb unangenehmer, halb glorreicher Erinnerung. Wenn da jemand wäre, den man gehörig vermöbeln könnte, wäre das perfekt, aber der Feind lässt sich nicht blicken, und so muss er sich was einfallen lassen. Einen Streich eben.
    «Wie kann ich sagen, ich mach mit, wenn ich nicht weiß, worum es geht?», wendet Ietri ein.
    «Hast du kein Vertrauen zu mir, Jungfräulein?»
    Ietri denkt einen Augenblick lang nach. Cederna weiß ganz genau, dass er ihn in der Hand hat. Ietri ist sein Schüler. Wenn er von ihm verlangen würde, nackt auf eine Gruppe Taliban zuzulaufen, würde er das wahrscheinlich tun.
    Und tatsächlich sagt er: «Natürlich hab ich Vertrauen zu dir.»
    «Dann sag, dass du mitmachst.»
    «Ist es nicht gefährlich?»
    «Ach was. Du musst nur Schmiere stehen.»
    «Gut. Ich mach mit.»
    Cederna kommt näher. Er hält Ietris Hand fest, in der er seinen Rasierer hat, und fährt ihm mit dem eigenen über die Wange. Ietri reißt die Augen auf, erstarrt.
    «Was machst du da?»
    «Psssst …»
    Ietri hält den Atem an. «Hör zu», sagt Cederna, «heute Abend, wenn die anderen in der Kantine sind, holen wir die Schlange aus der Ruine.»
    «Ich fass dieses Ding nicht an.»
    «Das mache ich. Ich hab dir ja gesagt, du stehst Schmiere, du musst nur aufpassen, dass niemand kommt.»
    «Was machst du mit der Schlange?»
    «Ich steck sie Mitrano in den Schlafsack.»
    «Verdammt.»
    «Ja! Du wirst sehen, wie er in die Luft springt, wenn er sie findet.»
    «Aber hast du nicht gemerkt gestern Abend, wie erschrocken er war? Er konnte sie nicht einmal anschauen.»
    «Eben deswegen.»
    Cederna zieht die Rasierklinge am Kinn des Freundes entlang und folgt dabei aufmerksam der Biegung des Knochens. Ihre Münder sind sich so nah, dass sie sich berühren würden, wenn beide die Lippen spitzten. Cederna ist

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