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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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der nackten Fußsohlen auf dem Synthetikbelag des Bodens. Ein Schritt, noch ein Schritt. Der Oberleutnant öffnet die Augen. Die winzige LED des Kühlschranks ist die einzige Lichtquelle im Zelt, sie gleicht einem Leuchtturm in weiter Ferne, vom offenen Meer aus gesehen. Egitto spannt seinen Körper an, überlegt, wie er sich aus der Affäre ziehen kann.
    Jetzt ist es der Reißverschluss an seinem Schlafsack, der aufgeht. Noch ist nicht der Zeitpunkt, das Feuer zu eröffnen, denkt er, er muss warten, bis der Feind nah genug ist. Irene legt sich auf ihn und beginnt, ihm gierig Hals, Wangen und Mund zu küssen.
    «Nein!»
    Die Stimme des Oberleutnants platzt wie ein Donnerschlag in die Stille.
    Sie hört auf, aber nicht plötzlich, mehr so, als müsse sie nur Luft holen. «Warum nicht?»
    «Nein», wiederholt Egitto. Seine Pupillen haben sich an das minimale Licht gewöhnt, sie müssen maximal erweitert sein, er erkennt die Umrisse von Irenes Gesicht über sich.
    «Kommt es dir nicht komisch vor, getrennt zu schlafen, du und ich, einen Schritt voneinander entfernt?»
    «Vielleicht. Aber nein. Ich will … lieber nicht.»
    Einen Moment lang hat er geschwankt. Sein Körper zeigt unerwartetes Interesse an diesem nächtlichen Besuch, er rebelliert, bringt ihn durcheinander. Egitto ist nicht mehr sicher, warum er sich der Falle entziehen will. Ja, warum eigentlich? Weil er vorhin den Entschluss gefasst hat, darum. Aus Verantwortungsgefühl sich selbst gegenüber. Um sich zu schützen.
    Unterdessen liegt Irene noch immer auf ihm. Eine Hand gleitet rasch zur Leiste des Oberleutnants, taucht in den Slip. Durch die Berührung von Irenes Fingern strahlt Lust in sein ganzes Nervensystem. Entschlossen packt Egitto ihren Arm. Er schiebt ihn weg. Dann räuspert er sich, um sicher zu sein, dass seine Stimme fest klingt. «Geh weg hier. Auf der Stelle. Ich wünsche dir eine gute Nacht.»
    Sie richtet sich auf die Knie auf. Das war leicht, denkt Egitto, leichter, als er es sich vorgestellt hatte. Irene setzt einen Fuß auf den Boden, gibt ihn frei. Da, sie geht. Er ist gerettet.
    Mit einer überraschenden Geste, der Geste eines Torero, der das rote Tuch vor dem Stier zum Verschwinden bringt, schlägt sie den Schlafsack auf. Ein kalter Lufthauch fährt dem Oberleutnant die nackten Beine hinauf. Noch einmal murmelt Egitto nein, aber das ist ein schwacher Versuch.
    Er kämpft noch mit sich selbst, innerlich, während er es geschehen lässt. Zuletzt schließt er die Augen. Ist gut. Okay.
    Als es vorbei ist, fragte er, ob Irene lieber bei ihm schlafen möchte, das Bett ist schmal, aber sie hätte schon Platz. Pure Höflichkeit, ein Angebot auf Entschädigung, ein bisschen verlogen und sehr plump.
    «Ich bitte dich», sagt sie. «Gute Nacht, Alessandro.» Sie streift seine Stirn mit den Lippen.
    Beim Gehen stößt sie gegen etwas, vielleicht den Wagen mit dem Defibrillator. «Scheiße!», ruft sie.
    «Hast du dir weh getan?»
    Irene winselt vor Schmerz. Sie antwortet nicht. Im Schutz der Dunkelheit lächelt Egitto.
     
    Im öligen Schwarz der Nacht, während der Oberleutnant in den Schlaf sinkt, werden die beiden Soldaten, die auf dem Hauptturm Wache haben, auf eine ungewöhnliche Bewegung im Lager der afghanischen LKW -Fahrer aufmerksam. Sie montieren das Nachtsichtgerät an ihre Feldstecher, um besser zu sehen, aber das ist nicht mehr nötig, weil in der Zwischenzeit die Scheinwerfer eines Fahrzeugs eingeschaltet wurden. Ein Lastwagen, nur einer, fährt langsam in Richtung Südosten zum Eingang des Tals und ist in ein paar Minuten verschwunden.
    Die Soldaten diskutieren, ob sie den Kommandanten benachrichtigen sollen, dann beschließen sie, dass das kein hinreichender Grund ist, um einen Offizier zu stören. Es reicht völlig, wenn sie die gute Nachricht am Morgen überbringen.
    «Sie haben beschlossen abzuziehen», bemerkt einer.
    «Ja. Das wurde aber auch Zeit.»

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