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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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nicht wieder nachwachsen lassen.
    All das hat inzwischen wenig Bedeutung für ihn. Er ist daran gewöhnt. Zur Zeit der Wehrpflicht war es noch schlimmer gewesen. Da hatten sie ihm ernsthaft weh getan, sie verwendeten Gürtel, die Bleiplatten aus den kugelsicheren Westen und Klobürsten, sie pissten ihm in den Rucksack und auf den Kopf. So ist das Leben halt, das weiß man, da sind die einen, die teilen aus, und die anderen, die stecken ein, immer ist das so. Mitrano ist einer, der einsteckt, wie sein Vater übrigens auch, der sie auch von der Mama bekommt, weil er klein und zierlich ist. Das ist in Ordnung so. Ein tüchtiger Soldat kann vor allem eins: einstecken.
    Im Allgemeinen aber hat er Tiere lieber als Menschen. Vor allem Hunde. Er mag sie groß und kräftig, kämpferisch. Nicht, dass sie freundlicher wären als Menschen, auch sie leben in einer Welt der Überwältigung, man braucht sie ja nur anzuschauen, wenn sie einander begegnen, wie sie sich das Hinterteil beschnüffeln, knurren und aufeinander losgehen, aber sie sind ehrlicher, sie folgen dem Instinkt und basta. Mitrano weiß alles über Hunde, und er respektiert sie. In der FOB gibt es eine Einheit der Pioniere mit Hundestaffel, dort verbringt er einen Großteil seiner Freizeit mit Maya, einer belgischen Schäferhündin mit schwarzen, wässrigen Augen, für das Aufspüren von Sprengstoff abgerichtet. Ihr Hundeführer, Leutnant Sanna, lässt ihn gewähren, denn so ist das Tier wenigstens beschäftigt, und er kann sich seinen eigenen Angelegenheiten widmen, die vor allem im gründlichen Studium gewisser Motorzeitschriften bestehen. Mitrano würde wer weiß was darum geben, in Sannas Regiment einzutreten, aber er ist beim Eignungstest kläglich durchgefallen. Die Schule war nie seine Sache.
    Er hat sich bis zur Abendessenszeit mit Maya aufgehalten und mit ihr gespielt. Auf einem Teil des Platzes hat er einen Geschicklichkeitsparcours mit einigen Hindernissen aufgebaut, einem Tunnel aus Autoreifen und einem Ball. Er hat fast eine Stunde gebraucht, um ihr die einzelnen Übungen beizubringen, aber sie ist ein intelligentes Tier, und am Ende hat sie es begriffen. Die vorbeikommenden Soldaten blieben stehen, sahen ihnen bewundernd zu und applaudierten. Mitrano ist zufrieden mit sich. Er mag ja kein Ass im Denken sein – dadurch, dass er es ständig von allen zu hören bekam, von seiner Mutter, von den Lehrerinnen, von den Ausbildern und von den Freunden, hat er es schließlich akzeptiert –, aber im Dressieren von Hunden ist er echt unschlagbar. Er hat Maya ihr Fressen hingestellt und ist gleich darauf für die eigene Mahlzeit in die Kantine gegangen.
    Am Abend ist er in der Ruine mit den anderen zusammen, aber für sich, er spielt auf einer Spielkonsole. Die Kameraden sind alle ganz aufgeregt, weil die Schlange verschwunden ist. Mitrano interessiert das nicht, ja, er ist froh darüber, weil es ihn schon ekelt, sie bloß aus der Ferne anzuschauen. Er liebt Tiere, alle, außer Reptilien. Die kann er wirklich nicht leiden. Mattioli beschuldigt ihn, er hätte sie weggeworfen – auf ihn gehen sie los, auf wen denn sonst –, aber sein Gesicht muss so ungläubig wirken, als er fragt: «Was wollt ihr von mir? Ich habe sie nicht einmal angefasst», dass sie ihm glauben und ihn in Frieden lassen.
    Um Mitternacht geht er ins Zelt, etwas wirr im Kopf und mit brennenden Augen vom stundenlangen Starren auf den winzigen Bildschirm des Nintendo. Viele haben sich schon hingelegt, und die anderen sind dabei, sich auszuziehen. Mitrano zieht Hose und Jacke aus und schlüpft in die lange Unterhose.
    «He, Rovere», sagt er zu seinem Bettnachbarn.
    Rovere hat die Decke bis über die Nase hochgezogen. Er macht die Augen auf und mustert ihn feindselig. «Was willst du?»
    «Denkst du daran, was die Taliban jetzt machen?»
    «Was sollen sie schon machen? Sie schlafen.»
    «Meiner Meinung nach beobachten sie uns.»
    «Ach, hör doch auf», er dreht sich auf die andere Seite.
    Mitrano kriecht in den Schlafsack. Er schüttelt das kleine Kissen auf, um es kompakter zu machen, und sucht nach einer bequemen Position auf der Seite. Manchmal kam sein Vater mit einem blauen Auge zum Essen heim, oder er konnte wegen Schmerzen im Arm die Kaffeetasse nicht heben. Der Junge schwieg. Er hat gelernt, dass es in gewissen Familien das Beste ist, keine Fragen zu stellen, niemals, und seine Familie ist so eine.
    Da ist etwas, was ihn daran hindert, die Beine richtig auszustrecken. Er tastet mit

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