Der menschliche Körper
es nicht einmal im Traum je in den Sinn gekommen, einen Mann auf die Lippen zu küssen.
«Und wenn er austickt?»
«Wer? Mitrano? Das ist ja gerade das Schöne.»
Schön ist es auch, ein für alle Mal Rache zu nehmen für die unangenehmen Gefühle, die er ihm am Abend des Angriffs eingeflößt hat, als er wie ein Weib flennte, um seinen Platz im Bunker wiederzubekommen – aber das sagt Cederna nicht, das ist eine Sache zwischen ihm und dem Idioten.
«Und wenn René wütend wird?»
«René wird nie wütend. Und wennschon, wen juckt’s? Wenn es nach ihm ginge, würden wir uns hier alle vor Langeweile umbringen. Er wird seinen Spaß haben, das versichere ich dir.»
«Ich weiß nicht. Ich finde das keine gute Idee.»
«Du hast versprochen, dass du mitmachst. Wenn du jetzt einen Rückzieher machst, bist du ein Verräter. Streck das Kinn vor.»
«Okay», murrt Ietri und öffnet leicht den Mund. «Ich mach mit.»
«Das Wichtige ist, dass uns keiner sieht, sonst klappt der Streich nicht. Wenn sie die Schlange nicht mehr finden, flippen sie aus.»
«Torsu ist immer noch im Zelt.»
«Dem hat der Computer das Hirn verbrannt. Der merkt das gar nicht.»
Jetzt widmet Cederna sich Ietris Schnurrbart, und Ietri zieht folgsam die Oberlippe ein, um die Haut zu straffen. Mit den Fingern wischt Cederna den restlichen Schaum ab. Sein älterer Bruder hat das so bei ihm gemacht, als ihm die ersten Barthaare sprossen. Ihm zuliebe wäre Cederna nackt auf eine Gruppe Taliban zugelaufen, ach was, er hätte sich erschießen lassen. Und vom Bruder hat er gelernt, wie leicht es ist, sich von einem Jüngeren bewundern zu lassen.
«Cederna?», fragt Ietri.
«Schieß los.»
«Machst du mir spitze Koteletten, so wie du sie hast? Ich kann das nicht.»
Cederna lächelt ihn an. Er ist doch ein guter Junge, sein Ietri. Er rührt ihn. «Halt den Kopf still, Jungfräulein. Das ist Präzisionsarbeit.»
Die Tatsache, dass Irene ihre Begegnung der vergangenen Nacht noch mit keinem Wort erwähnt hat, beruhigt Oberleutnant Egitto nicht: Im Gegenteil, es verursacht ihm eine gewisse Nervosität, die im Verlauf der Stunden zunimmt. Als er heute Morgen aufwachte, war sie schon gegangen. Vom Obersten erfuhr er, dass sie mit den Jungs auf Patrouille war, sie wollte sich den Basar ansehen und sich mit Informanten besprechen,
in ihren Angelegenheiten
. Zur Mittagessenszeit tauchte sie wieder auf, in der Kantine saßen sie am selben Tisch. Er sah ihr zu, wie sie die Offiziere mit der Erzählung von einem Kameraden unterhielt, der ihre Berichte über ihn beim Generalstab nicht schätzte und sie deshalb bis vor ihre Haustür verfolgte, tätlich wurde und ihr mit einem Fausthieb zwei Rippen brach. Alle waren amüsiert und empört über die Geschichte: Ein Militär, der eine Soldatin schlägt, das hat man ja noch nie gehört, da schau mal einer an, was für ein gemeiner Feigling. Egitto lächelte mit den anderen. Konnte man dieser Geschichte Glauben schenken? Und warum hatte Irene genau diese ausgesucht? Wollte sie ihm vielleicht eine Botschaft übermitteln, ihm zu verstehen geben, dass mit ihr nicht zu spaßen ist? Nach dem Zwischenfall in der Nacht – jetzt nennt er es spontan so,
Zwischenfall
– spürt er ein Gefühl der Bedrohung. Er zieht sogar eine Erpressung in Erwägung. Wenn er nicht mitspielt, wird Irene mit einem einfachen Fingerschnipsen seine Karriere zunichtemachen. Genau das ist es, was sie ihm vermittelt: Von nun an muss er ihr gehorchen, ihr Geliebter werden – als Strategie wesentlich abgefeimter als die vorgetäuschte Schwangerschaft damals. Egitto hat fast alles, was er auf dem Tablett hatte, stehen lassen, hat sich darauf beschränkt, angeekelt an den überbackenen Kartoffeln zu knabbern.
Ballesio lädt ihn zur üblichen Nachmittagsbesprechung in sein Zelt, das heißt, er lädt ihn überhaupt nicht ein, er geht davon aus, dass der Oberleutnant ihm folgt, aber Egitto bringt eine wirre Entschuldigung vor. Er kehrt in die Krankenstation zurück. Irene ist nicht da. Der Oberleutnant schiebt die Plane beiseite und betrachtet den Teil des Raums, den sich Irene widerrechtlich angeeignet hat. Ihr Gepäck steht auf dem Boden, unbewacht, ein eher kleiner Rucksack, geeignet für jemanden, der beweglich sein muss. Er schaut hinter sich. Alles ist ruhig. Er kniet nieder und öffnet den Reißverschluss.
Er zieht die Kleidungsstücke so heraus, dass er sie nicht zerknittert und ihre Anordnung nicht verändert. Fast nur Pullover und
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