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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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schwarze Hosen, aber auch eine Fleecejacke – da hat sie also doch eine. Er greift tiefer hinunter, spürt einen anderen Stoff und zieht ein Abendkleid oder Negligé heraus, was genau, ist ihm nicht klar, auf jeden Fall ein leichtes Kleidungsstück, vielleicht aus Seide, die Träger mit Spitze besetzt.
    «Du solltest mich darin sehen. Es steht mir einfach phantastisch.»
    Egitto erstarrt. «Entschuldige», stammelt er, «ich wollte nur …» Er hat nicht den Mut, sich umzudrehen.
    Vorsichtig nimmt sie ihm das Kleid aus den Händen, faltet es wieder zusammen. Dann hebt sie den Rucksack hoch und steckt es wieder hinein. «Man weiß ja nie, was so auf einen zukommt.»
    Egitto steht auf.
    «Ich bin todmüde. Du hast doch nichts dagegen, dass ich mich ein wenig ausruhe?»
    «Nein. Klar. Mach nur.»
    Aber der Oberleutnant rührt sich nicht. Jetzt, da sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, er in flagranti bei seiner Missetat ertappt, müssen sie die Frage klären, die zwischen ihnen im Raum steht.
    «Was ist?», fragt Irene.
    «Hör mal», sagt der Oberleutnant. Er verstummt, holt tief Luft, dann versucht er es erneut: «Was das betrifft, was heute Nacht passiert ist …»
    Sie sieht ihn neugierig an. «Ja?»
    «Es ist eben passiert. Aber das war bloß eine Schwäche. Es darf sich nicht mehr wiederholen.»
    Irene denkt einen Augenblick lang nach. Dann sagt sie: «Das ist der schlechteste Satz, den je ein Mann zu mir gesagt hat.»
    «Entschuldige.» Aus irgendeinem Grund tut es ihm wirklich leid.
    «Hey, hör gefälligst auf, dich dauernd zu entschuldigen, verdammt noch mal!» Irene hat plötzlich einen anderen Ton angeschlagen. «Für so etwas entschuldigt man sich nicht, Alessandro. Nimm es als Zeitvertreib, als Spiel, als ein Geschenk von einer alten Freundin, als was du willst. Aber
bitte
entschuldige dich nicht. Versuchen wir, wie erwachsene Menschen mit dieser Situation umzugehen, okay?»
    «Ich wollte nur sicher sein, dass …»
    Irene schließt die Augen. «Ja. Ich habe verstanden, vollkommen. Jetzt
geh
. Ich bin müde.»
    Gedemütigt tritt Egitto den Rückzug an. Alles, was er in den vergangenen achtundvierzig Stunden getan hat, hat sich als falsch und widersprüchlich erwiesen. Vielleicht hat er die Fähigkeit, unter Menschen zu sein, völlig eingebüßt.
     
    Es ist dem Obergefreiten Mitrano schon oft passiert, dass er mit Simoncellis behaarten Arschbacken im Gesicht aufwachte, die ihm den Atem nahmen. Das ist kein schönes Gefühl. Zum einen, weil, wenn ein Vieh von neunzig Kilo sich auf dich setzt, das etwas dem Ersticken sehr Ähnliches hat. Es ist eine Form von Intimität, die du mit niemandem möchtest, schon gar nicht mit einer Art von Schimpansen, der die Fähigkeit besitzt, auf Kommando zu furzen. Aber vor allem das Gelächter, das du ringsum hörst, während du dich nicht rühren kannst – jemand hat deine Handgelenke an das Feldbett gefesselt, und du siehst nichts, weil die Gesäßbacken auf die Lider drücken –, dieses Gelächter kommt von den Mitgliedern deiner Kompanie, von deinen Kameraden, deinen Freunden. Dieses Gelächter tut noch mehr weh als die Hiebe, die jemand dir wiederholt auf den nackten Schenkel und auf den linken kleinen Zeh gibt.
    Es gibt unendlich viele Varianten des Streichs mit den Arschbacken, und Mitrano hat sie alle durchgemacht. Den Mund mit Klebeband zugeklebt und die Knöchel damit gefesselt. Eis in die Unterhose (natürlich während du dich nicht rühren kannst). Enthaarungswachs auf die Arme, der klassische Sack aus Leintüchern, die Haare mit Zahnpasta verschmiert, die man nicht mehr rausbekommt, wenn sie eingetrocknet ist, außer mit der Schere. Insbesondere der Film mit der Zahnpasta machte im Regiment die Runde, und jetzt kann man ihn auf YouTube sehen, zu finden unter den Suchbegriffen
Wecken, Kaserne, Spezialshampoo, Pechvogel
…: Der erste Teil ist im Dunkeln gedreht, und die halbnackten Jungs haben grüne Augen wie Gespenster. Man sieht ganz deutlich Camporesi, der die Tube ausdrückt, und jemanden – vermutlich Mattioli –, der ihn anfeuert: mehr, mehr. Zu der Zeit trug Mitrano noch den unangenehmen Spitznamen Schwanzlöckchen, die Jungs rissen ihm gern Kopfhaare aus, legten sie auf einen Tisch unters Licht, um zu beweisen, dass sie wirklich wie Schamhaare aussahen. Dank der Zahnpasta ist wenigstens die Sache mit dem Spitznamen in gewisser Weise gelöst: Nachdem er gezwungen war, sich die Haare komplett abzurasieren, hat Mitrano sie

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