Der menschliche Körper
ihr gefällt ihm. Beim Sex ist sie erfahren und außerordentlich freizügig. Manchmal bleibt René, wenn sie fertig sind, zum Abendessen, oder sie schauen sich einen Film an – er auf dem Sofa, sie im Sessel nebendran –, und womöglich lieben sie sich dann noch einmal, in solchen Fällen geht das zweite Mal aufs Haus. Wenn er aber Lust hat zu gehen, hält sie ihn nicht zurück.
«Hast du dich verlaufen?» Rosanna erwartet ihn an der Tür.
René schiebt sich an ihr vorbei, küsst sie auf die Wange. Er erkennt ein anderes Parfüm als sonst, oder es ist ein anderer Geruch unter dem üblichen Parfüm, er sagt aber nichts.
Die Frau besieht sich die Flaschen. Sie stellt die Sektflasche in den Kühlschrank und öffnet die andere. Die Gläser stehen schon auf dem Tisch bereit. «Hast du etwas gegen ein bisschen Musik? Heute Abend macht mich die Stille nervös.»
René hat nichts dagegen. Musik ist ihm gleichgültig, wie andere Zerstreuungen, die die Leute so haben. Er setzt sich an den Küchentisch. Er ist schon einige Male aufgebrochen – zweimal in den Libanon, einmal in den Kosovo –, er kennt die Schwierigkeiten, die Zivilisten haben, damit umzugehen.
«Dann fährst du also morgen.»
«Ja.»
«Und wie lang dauert der Einsatz?»
«Sechs Monate. Paar Tage mehr oder weniger.»
Rosanna nickt. Sie hat das erste Glas schon ausgetrunken. Sie schenkt sich noch eins ein. René dagegen nippt nur, er hält sich unter Kontrolle.
«Und freust du dich?»
«Das ist keine Vergnügungsreise.»
«Sicher. Aber freust du dich?»
René trommelt mit den Fingern auf den Tisch. «Ja, ich glaube schon.»
«Gut. Das ist das Wichtigste.»
Die Musik zwingt sie, lauter zu sprechen als nötig, das stört René. Es wäre besser, wenn Rosanna sie etwas leiser drehen würde. Die Leute bemerken viele Dinge nicht, die er bemerkt, das hat ihn immer enttäuscht, in gewisser Weise. An diesem Abend scheint Rosanna die Absicht zu haben, sich so stark wie möglich zu betäuben, bevor sie ins Bett gehen. Bei betrunkenen Frauen ist der Körper schlaff, die Bewegungen sind monoton, und er hat Mühe, ihnen ihre Lust zu verschaffen. Er verkneift sich nicht, es zu sagen; er deutet auf das Glas und sagt: «Mach langsam damit.»
Sie wirft ihm einen wütenden Blick zu. René hat es hier nicht mit einem seiner Soldaten zu tun. Bis zum Beweis des Gegenteils ist sie es, die bezahlt, also hat sie das Sagen. Dann aber senkt sie den Kopf, als wolle sie ihn um Verzeihung bitten. René deutet ihre Reizbarkeit als Angst um ihn, und das stimmt ihn zärtlich. «Es besteht keine Gefahr für mich.»
«Da bin ich mir sicher.»
«Es handelt sich in erster Linie um einen humanitären Einsatz.»
«Ja.»
«Wenn du die Statistiken anschaust, die Zahl der Toten bei diesem Einsatz ist lächerlich. Es ist gefährlicher, die Straße hier vorm Haus zu überqueren. Ich meine es ernst. Wenigstens für uns ist das so. Aber da sind andere, die ernsthaft kämpfen müssen, und für die ist das eine ganz andere Geschichte. Die Amerikaner zum Beispiel haben …»
«Ich bin schwanger.»
Das Zimmer kippt unmerklich zur Seite, und die Wodkaflasche wechselt die Farbe. «Was hast du gesagt?»
«Du hast es gehört.»
René fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Es ist nicht von Schweiß bedeckt. «Nein. Ich glaube nicht, dass ich richtig gehört habe.»
«Ich bin schwanger.»
«Kannst du die Musik ausmachen bitte? Ich kann mich nicht konzentrieren.»
Mit raschen Schritten geht Rosanna zur Anlage und schaltet sie aus. Sie setzt sich wieder. Jetzt sind da andere Geräusche: das Summen des Boilers im Bad, jemand in der Wohnung darüber, der schlecht Gitarre spielt, der Wodka, der entgegen Renés Mahnung noch einmal nachgeschenkt wird.
«Du hattest mir doch ganz klar gesagt …», sagt René und versucht mit aller Macht, sich zu beherrschen.
«Ich weiß. Es war unmöglich, dass es passieren konnte, eine Wahrscheinlichkeit von eins zu wer weiß wie viel, zu einer Million vielleicht.»
«Du bist in der Menopause, hattest du mir gesagt.» Sein Tonfall ist nicht aggressiv, und er wirkt ruhig, vielleicht etwas blass.
«Ich
bin
in der Menopause, verstanden? Aber ich bin schwanger geworden. Das ist nun mal passiert.»
«Du hast gesagt, es wäre unmöglich.»
«Das war es auch. Es ist eine Art Wunder, okay?»
René fragt sich, ob es sinnvoll wäre, einen Vaterschaftstest machen zu lassen, aber natürlich ist das überflüssig. Er denkt über das Wort
Wunder
nach, kann aber
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