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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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keine Beziehung dazu herstellen.
    «Es ist meine Verantwortung, damit das von vornherein klar ist», fährt sie fort, «zu hundert Prozent meine Verantwortung. Also meine ich, dass die Entscheidung bei dir liegen soll. Du bist derjenige, der betrogen wurde. Ich werde deine Entscheidung respektieren. Es ist noch Zeit, anderthalb Monate, etwas weniger. Du fährst jetzt weg, denkst in aller Ruhe darüber nach, und dann lässt du mich wissen, wie du dich entschieden hast. Um alles Übrige kümmere ich mich.»
    Sie sagt das alles in einem Atemzug, dann führt sie das Glas zum Mund. Statt zu trinken, hält sie es dort am Mund fest. Versunken fährt sie mit den Lippen über den Rand. Um die Augen hat sie unauslöschliche Falten, aber sie stehen ihr nicht schlecht. Im Lauf seiner heimlichen zweiten Karriere hat René gelernt, dass reifere Frauen ein letztes Mal aufblühen, bevor sie gänzlich verwelken, und in dieser Phase sind sie schöner denn je. Er fühlt sich jetzt haltlos, was ihn wütend macht: «Wenn du schwanger bist, solltest du nicht trinken.»
    «Ein bisschen Wodka scheint mir das geringste Problem in diesem Augenblick.»
    «Du solltest es jedenfalls nicht.»
    Sie verstummen. Im Geist geht René die ganze Unterhaltung noch einmal durch, Schritt für Schritt.
Um alles Übrige kümmere ich mich
. Er hat Mühe, über diese Worte hinaus klarzusehen.
    «Hast du trotzdem Lust?»
    Rosanna fragt ihn das, als ob das eine zulässige Frage wäre. Sie ist schwanger, trotzdem trinkt sie und hat Lust, mit ihm ins Bett zu gehen. René ist verwirrt. Er ist drauf und dran, ihr ins Gesicht zu schreien, dass sie verrückt ist, doch dann wird ihm klar, dass das ein Weg wäre, den Abend sinnvoll abzurunden: Mit ihr schlafen und durch diese Tür hinausgehen mit dem Gefühl, ausgeführt zu haben, was sie von ihm erwartete, und nicht mehr. «Warum nicht?», sagt er also.
    Sie gehen ins Schlafzimmer und ziehen sich mit dem Rücken zueinander aus. Sie fangen langsam an, zärtlich, und René erlaubt sich, sie auf den Bauch zu drehen. Für sein Gefühl kommt das einer kleinen Bestrafung gleich. Rosanna kommt großzügig, er diskreter. Er zieht sich im letzten Augenblick zurück, als ob das etwas ändern würde, sie macht ihm keinen Vorwurf.
    «Du kannst über Nacht hierbleiben», sagt sie stattdessen. «Morgen früh muss ich nicht arbeiten. Wir fahren zu dir, deine Sachen holen, und dann zum Flughafen.»
    «Das ist nicht nötig.»
    «So könnten wir noch ein paar Stunden zusammen sein.»
    «Ich muss gehen.»
    Rosanna steht auf und wirft eilig einen Morgenrock über. Sie sucht in der Handtasche nach ihrer Geldbörse und hält René das Geld hin.
    Er schaut auf die Hand, die die Geldscheine hält. Er kann von einer Frau, die sein Kind in sich trägt, kein Geld annehmen, aber Rosanna zieht den Arm nicht zurück und sagt nichts. Vielleicht ein Rabatt? Nein, das wäre verlogen. Sie ist nur eine Kundin, eine Kundin wie alle anderen. Wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen ist, ist das nicht seine Schuld.
    Er nimmt das Geld, und in weniger als zehn Minuten ist er fertig zum Gehen.
    «Also, du gibst mir dann Bescheid», sagt Rosanna in der Tür.
    «Ja, ich geb dir Bescheid.»
     
    Am Morgen herrscht unerträgliche Hitze, der Himmel ist von einem hellgrauen Firnis überzogen, der Kopfweh begünstigt. Die Zivilisten in der Halle des Flughafens nehmen neugierig die ungewöhnlich starke Präsenz von Militärs wahr. Die Aschenbecher draußen vor dem Gebäude quellen über von Kippen. Ietri und seine Mutter sind mit dem Autobus gekommen. Mit den Augen sucht er nach seinen Kameraden, einige grüßen ihn von ferne. Mitrano hat die größte Familie, und die Großmutter im Rollstuhl ist als Einzige in dem Grüppchen nicht laut, sie kehrt dem Enkel den Rücken zu und starrt vor sich hin, als sähe sie etwas Grauenhaftes, aber wahrscheinlich – denkt Ietri – ist sie bloß dement. Die Eltern von Anfossi schauen häufig auf die Uhr. Cederna knutscht mit seiner Freundin, die Hände frech auf ihrem Hintern. Zampieri hält ein Kind auf dem Arm, das sich damit vergnügt, das mit Klettband befestigte Namensschild abzureißen und wieder dranzudrücken – sie lässt es eine Weile gewähren, dann setzt sie es abrupt auf dem Boden ab, das Kind fängt an zu weinen. René sitzt mit gesenktem Kopf da und telefoniert.
    Ietri spürt, wie seine rechte Hand ergriffen wird. Bevor er einen Einwand erheben kann, hat seine Mutter ihm schon ein Tübchen Creme auf den

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