Der menschliche Körper
nicht zu sehen.
Agnese lässt sich gegen ihn fallen und lehnt ihren Kopf an seine Knie. «Nicht sterben dort unten, okay?»
«Ich werde mein Bestes tun.»
«Dich auch nicht verletzen lassen. Wenigstens nicht schwer. Keine Amputationen oder allzu sichtbaren Narben.»
«Nur oberflächliche Verletzungen, versprochen.»
«Und mich nicht betrügen.»
«Nein.»
«Wenn du mich betrügst, bringe
ich
dir ein paar Verletzungen bei.»
«Huuu!»
«Nix da huuu. Ich meine es ernst.»
«Hu-huuuu!»
«Dann kommst du also zu meinem Examen?»
«Ich komme, das habe ich versprochen. René hat mir den Urlaub zugesichert. Das bedeutet, dass wir uns danach lang nicht sehen.»
«Dann spiele ich die junge arbeitslose Universitätsabsolventin, die auf die Rückkehr ihres Mannes von der Front wartet.»
«Ich bin nicht dein Mann.»
«Das habe ich nur so gesagt.»
«Was war das, eine Art Antrag?»
«Wer weiß.»
«Wichtig ist nur, dass die junge Arbeitslose sich nicht in der Zwischenzeit mit jemand anderem tröstet.»
«Ich werde untröstlich sein.»
«Das ist gut.»
«Untröstlich. Ich schwöre.»
In einer größeren Wohnung mit Schiebetür, die auf einen Balkon über einem Parkplatz geht, liegt Feldwebel René wach und schaut in die Nacht hinaus. Durch das Gewitter steigt die Hitze vom Asphalt auf, und die Stadt stinkt nach faulen Eiern.
Der Feldwebel könnte es sich aussuchen, mit welcher Frau er die letzte Nacht in der Heimat verbringen will, aber die Wahrheit ist, dass er auf keine Lust hat. Schließlich sind es Kundinnen. Er ist sicher, dass sie nicht bereit wären, sich die Sorgen anzuhören, die er zwölf Stunden vor dem Abflug so hat. Wenn er zu viel redet, haben die Frauen es eilig, ihm den Rücken zuzukehren und etwas zu tun, sich eine Zigarette anzuzünden oder sich wieder anzuziehen oder unter die Dusche zu gehen. Er kann ihnen keinen Vorwurf machen. Keine von ihnen weiß, was es heißt, Befehlsgewalt zu haben, keine weiß, was es bedeutet, das Schicksal von siebenundzwanzig Männern in Händen zu haben. Keine ist in ihn verliebt.
Er zieht das T-Shirt aus und lässt gedankenverloren die Finger über den Brustkorb gleiten: die Linie zwischen den Brustmuskeln, die Erkennungsmarke mit Geburtsdatum und Blutgruppe (A+), die guttrainierte Bauchmuskulatur. Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan wird er vielleicht aufhören mit den Dates. Nicht dass ihm die Sache missfallen würde, und das zusätzliche Geld kann er gut gebrauchen (so konnte er sich im vergangenen Monat die Packkoffer für die Honda kaufen, auf die er jetzt vom Fenster aus voller Stolz hinunterschaut, sie ist von einer Regenplane bedeckt), es ist eher eine moralische Frage. War in der ersten Zeit, als er nach Belluno kam, die Rumvögelei eine Notwendigkeit, könnte er jetzt, da er Berufssoldat ist, ohne weiteres darauf verzichten, sich einer reiferen Aufgabe widmen. Er weiß allerdings noch nicht, welcher. Es ist schwer, sich selbst neu zu erfinden.
Um Mitternacht ist durch die Unentschiedenheit auch die Chance auf ein gepflegtes Abendessen verstrichen: Er hat zwei Päckchen Cracker geknabbert, und jetzt hat er keinen Appetit mehr. Etwas dürftig als feierlicher Abschied. Er hätte besser daran getan, seine Eltern aus Senigallia kommen zu lassen. Auf einmal fühlt er sich traurig. Der Stecker am Fernseher ist gezogen, der Apparat gegen den Staub mit einem weißen Tuch bedeckt. Er hat den Haupthahn fürs Gas abgedreht und den Müll in einem Sack gesammelt. Die Wohnung ist aufs Unbewohntsein vorbereitet.
Er streckt sich auf dem Sofa aus und ist schon eingenickt, als er eine Nachricht von Rosanna Vitale bekommt: «Wolltest du abhauen, ohne auf Wiedersehen zu sagen? Komm her, ich muss mir dir reden.» Wenige Sekunden später kommt eine zweite SMS : «Bring was zu trinken mit.»
René lässt sich Zeit. Er rasiert sich unter der Dusche und masturbiert langsam, um gegen die Lust gefeit zu sein. An einer Tankstelle kauft er Sekt. Als er aus dem Laden draußen ist, macht er kehrt und nimmt noch eine Flasche Wodka und zwei Tafeln Milchschokolade dazu. Er empfindet eine gewisse Dankbarkeit Rosanna gegenüber, sie hat ihn vor einer letzten Nacht ohne Überraschungen gerettet, und er hat die Absicht, es ihr zu danken, wie sie es verdient. Gewöhnlich geht er mit jüngeren Frauen ins Bett, meist Mädchen, die ein paar heroische Erinnerungen sammeln wollen, bevor sie den Lebensweg der braven Ehefrau einschlagen. Rosanna dagegen ist über vierzig, aber etwas an
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