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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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den Mund - das ist seine Haltung ihr gegenüber, und irgendwie lässt sie sich davon überrollen, und dann kommt der schreckliche Abend, an dem sie in sein Zimmer tritt und er sie schon erwartet, in Gesellschaft eines Freundes. Es ist nicht so, dass sie jetzt Vorurteile hätte. Ihr ist nur klar geworden, dass sie einen Mann ihrer eigenen Rasse nicht so falsch eingeschätzt hätte. Das war ihr schlimmstes Versagen, und sie konnte es nie vergessen. Wiedergutmachung hatte sie erst bei dem Professor erfahren, der ihr den römischen Ring geschenkt hatte. Sex, ja, herrlicher Sex, aber mit Metaphysik. Sex mit Metaphysik mit einem Mann mit Gravitas, der nicht eitel ist. Jemand wie Kundera. Das ist der Plan. Das Problem, vor dem sie sich sah, als sie lange nach Einbruch der Dunkelheit allein an ihrem Computer saß - die einzige in Barton Hall, die noch arbeitete, außerstande, ihr Büro zu verlassen, außerstande, einen weiteren Abend in ihrer Wohnung zu verbringen, wo nicht einmal eine Katze ihr Gesellschaft leistete -, das Problem war: Wie sollte sie in ihrem Inserat die möglichst subtil verschlüsselte Nachricht unterbringen: »Bitte nur Weiße«? Wenn man in Athena erfuhr, dass sie es gewesen war, die diese Einschränkung gemacht hatte - nein, für eine, die dabei war, in der akademischen Hierarchie Athenas so schnell aufzusteigen, war das wohl kaum angemessen. Dennoch hatte sie keine andere Wahl, als ein Foto zu verlangen, auch wenn sie wusste - weil sie mit aller Kraft versuchte, an alles zu denken, nie naiv zu sein und, ausgehend von ihrem kurzen Leben als Frau, immer einzukalkulieren, wie Männer sich verhalten konnten -, auch wenn sie wusste, dass man einen ausreichend sadistischen oder perversen Mann nicht daran hindern konnte, ein Foto zu schicken, das eine Falschinformation gerade in Bezug auf die Rassenzugehörigkeit darstellte.
    Nein, es war zu riskant - und außerdem unter ihrer Würde -, ein Inserat aufzugeben, um einen Mann von einem Kaliber zu finden, das es unter den Dozenten an einem so schrecklich provinziellen College wie Athena einfach nicht gab. Sie konnte es nicht tun, und sie sollte es nicht tun, doch noch während sie die Unwägbarkeiten, ja die Gefahren bedachte, in die sie sich begab, indem sie sich Fremden als eine Frau präsentierte, die auf der Suche nach einem geeigneten Partner war, noch während sie daran dachte, dass es für die Leiterin des Fachbereichs für Sprach- und Literaturwissenschaft nicht ratsam war, das Risiko einzugehen, ihren Kolleginnen und Kollegen irgendetwas anderes zu zeigen als die ernsthafte Wissenschaftlerin und Dozentin und sich als Frau mit Wünschen und Bedürfnissen darzustellen, die zwar durchaus menschlich waren, jedoch bewusst falsch interpretiert werden konnten, damit sie selbst als unbedeutend abqualifiziert werden konnte, noch während sie all das dachte, arbeitete sie daran: Nachdem sie per E-Mail allen Dozenten des Fachbereichs ihre neuesten Gedanken zum Thema »Wissenschaftliche Arbeiten« mitgeteilt hatte, versuchte sie, ein Inserat zu formulieren, das nicht nur dem banalen linguistischen Muster der Standardanzeige in der NYRB entsprach, sondern auch eine wahrheitsgemäße Beschreibung ihres Kalibers enthielt. Jetzt saß sie schon seit etwa einer Stunde hier und hatte noch immer keine Formulierung, die sowenig demütigend war, dass sie sie, und sei es unter Pseudonym, per E-Mail an die Anzeigenannahme schicken konnte.
    West-Massachusetts, 29j. zierliche, leidenschaftliche Pariser Professorin, die ebenso gern Molière unterrichtet wie
    Gebildete, attraktive Akademikerin aus den Berkshires, die ebenso gut médaillons de veau kochen wie einen geisteswiss. Fachbereich leiten kann, sucht
    Vollblutwissenschaftlerin (weiß) sucht
    Akademikerin (weiß) aus Paris, promov. in Yale, zierliche, gebildete, modebewusste Brünette mit Liebe zu Büchern sucht
    Attraktive Vollblutwissenschaftlerin sucht
    Doktorin (weiß), Französin, Massachusetts, sucht
    Sucht was? Irgendwas, irgendwas anderes als diese Männer in Athena: die witzelnden Jüngelchen, die weibischen alten Tanten, die ängstlichen, langweiligen Familientiere, die Berufsväter, und alle so ernsthaft und so kastriert. Dass sie sich rühmen, die Hälfte der Hausarbeit zu erledigen, findet sie abstoßend. Unerträglich. »Tja, ich werde dann mal gehen, meine Frau ablösen. Ich muss die Windeln genauso oft wechseln wie sie.« Sie windet sich innerlich, wenn sie mit ihrer Hilfsbereitschaft prahlen. Na gut, dann

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