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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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ganze Angelegenheit sich unauslöschlich im Gedächtnis der hier Ansässigen einprägen und die Coleman Silk Hall für immer ein Traum bleiben musste.
    »Sie ist nicht die ideale Frau, die wir mit dem Vermächtnis unseres Vaters in Verbindung gebracht sehen wollen«, sagte Jeffrey. »Im Gegensatz zu unserer Mutter«, sagte Michael. »Diese billige kleine Schlampe hat nichts mit irgendetwas zu tun.« »Nichts«, bekräftigte Jeffrey. Angesichts des Nachdrucks und der Entschlossenheit, mit der sie das sagten, war es schwer zu glauben, dass sie in Kalifornien Professoren für Naturwissenschaften waren. Man hätte meinen können, sie seien die Chefs von Twentieth Century Fox.
    Herb Keble war ein schlanker, sehr dunkelhäutiger Mann, mittlerweile nicht mehr jung und etwas steifbeinig, wenn auch weder gebeugt noch, wie es schien, durch irgendeine Krankheit behindert, und infolge seiner strengen Ausstrahlung und der dunkel drohenden Stimme, die an einen zu drakonischen Strafen neigenden Richter gemahnte, hatte er etwas von dem Ernst eines schwarzen Predigers an sich. Er brauchte nur zu sagen: »Mein Name ist Herbert Keble«, um die Anwesenden in seinen Bann zu schlagen; er brauchte nur am Rednerpult zu stehen, stumm auf Colemans Sarg zu sehen und sich dann der Gemeinde zuzuwenden und zu verkünden, wer er war, um jene Gefühlslage zu beschwören, die im allgemeinen mit der Rezitation von Psalmen assoziiert wird. Er wirkte auf dieselbe Art streng wie eine geschliffene Klinge: bedrohlich, wenn man sie nicht mit äußerster Vorsicht handhabt. Alles in allem war der Mann im Auftreten wie im Verhalten beeindruckend, und man konnte verstehen, dass Coleman ihn vielleicht eingestellt hatte, um die Rassenschranken am Athena College einzureißen - möglicherweise aus denselben Gründen, warum Branch Rickey seinerzeit Jackie Robinson als ersten schwarzen Spieler im Major-League-Baseball angeheuert hatte. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mir vorzustellen, wie Silks Söhne Herb Keble ihren Willen aufgezwungen haben mochten, doch dann dachte ich an den Reiz, den die Gelegenheit zu einer Selbstinszenierung auf eine Persönlichkeit ausüben musste, die so deutlich die Eitelkeit jener verriet, welche berechtigt sind, die Sakramente auszuteilen. Er verströmte spürbar die Autorität eines Mannes, der zur Rechten des Königs sitzt.
    »Mein Name ist Herbert Keble«, begann er. »Ich bin Leiter der Abteilung für politische Wissenschaften. 1996 war ich einer derjenigen, die es für angebracht hielten, nicht aufzustehen und Coleman zu verteidigen, als man ihn des Rassismus beschuldigte - ich, der sechzehn Jahre zuvor nach Athena gekommen war, im selben Jahr, in dem Coleman Silk zum Dekan ernannt wurde, ich, der ich der erste von Dekan Silk berufene Professor war. Viel zu spät stehe ich vor Ihnen, um zu bekennen, dass ich meinen Freund und Förderer enttäuscht habe, und um - abermals viel zu spät - zu tun, was in meinen Kräften steht und den Versuch zu unternehmen, das schlimme, verachtenswerte Unrecht, das ihm vonseiten des Athena College zugefügt wurde, wiedergutzumachen.
    Nach dem angeblichen rassistischen Zwischenfall sagte ich zu Coleman: ›Ich kann mich in dieser Sache nicht auf Ihre Seite stellen.‹ Ich sagte das nach reiflicher Überlegung, wenn auch vielleicht nicht nur aus den opportunistischen, von Feigheit oder Sorgen um meine Karriere geleiteten Motiven, die er mir so rasch unterstellte. Ich dachte damals, ich könnte für Coleman mehr tun, indem ich hinter den Kulissen daran arbeitete, die Argumente seiner Gegner zu entkräften, als dadurch, mich öffentlich auf seine Seite zu stellen und durch das Etikett ›Onkel Tom‹, jener Allzweckwaffe der Ignoranten, mit der man gewiss auf mich eingeschlagen hätte, zur Machtlosigkeit verdammt zu sein. Ich dachte, ich könnte mit der Stimme der Vernunft sprechen und so von innen anstatt von außen die Front jener aufweichen, die sich durch ihre Empörung über Colemans angeblich rassistische Bemerkung zu einer Verleumdung seiner Person und des Colleges hinreißen ließen, während es doch lediglich um eine Verfehlung zweier Studenten ging. Ich dachte, wenn ich nur umsichtig und geduldig genug vorging, könnte ich die Gemüter beruhigen - vielleicht nicht die seiner erbittertsten Gegner, so doch die der besonnenen, vernünftigen Mitglieder unserer afroamerikanischen Gemeinde und ihrer weißen Sympathisanten, deren Gegnerschaft ohnehin nur reflexhaft und von kurzer Dauer war. Ich

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