Der menschliche Makel
nichts von den diskriminierenden Quoten, mit denen man Juden am Medizinstudium hindern wolle, besonders an den Universitäten Harvard und Yale, wo Bert, da seien Dr. und Mrs. Fensterman zuversichtlich, seinen Abschluss als der Beste der Besten werde machen können, sofern er nur die Gelegenheit dazubekomme. Wegen der winzigen Quoten für Juden an den meisten medizinischen Fakultäten habe Dr. Fensterman in Alabama studieren müssen und dort mit eigenen Augen gesehen, gegen welche Schwierigkeiten Farbige anzukämpfen hätten. Er wisse, dass die in den akademischen Institutionen vorherrschenden Vorurteile gegenüber farbigen Studenten noch weit schlimmer seien als die, denen Juden ausgesetzt seien. Er kenne die Hindernisse, welche die Silks hätten überwinden müssen, um all das zu erreichen, was sie zu einer vorbildlichen Negerfamilie mache. Er wisse, was Mr. Silk habe durchmachen müssen, seit er seinen Optikerladen in der Depression habe schließen müssen. Er wisse, dass Mr. Silk, wie er selbst, ein Collegestudium absolviert habe und als Steward bei der Eisenbahn - »So nennt er einen Kellner, Coleman: einen ›Steward‹« - eine Stellung habe, die in keinster Weise seiner Ausbildung gerecht werde. Mrs. Silk kenne er natürlich aus dem Krankenhaus. Seiner Meinung nach gebe es im ganzen Krankenhaus keine bessere, intelligentere, kenntnisreichere, zuverlässigere oder fähigere Schwester als Mrs. Silk - die Oberschwester eingeschlossen. Seiner Meinung nach hätte Gladys Silk schon längst zur Stationsschwester der chirurgischen Station befördert werden sollen, und eines der Versprechen, das er den Silks geben wolle, sei, dass er alles in seiner Macht Stehende tun werde, um den Personalchef dazu zu bewegen, Mrs. Silk nach der Pensionierung von Mrs. Noonan, der gegenwärtigen Stationsschwester, zu deren Nachfolgerin zu machen. Außerdem sei er bereit, den Silks mit einem zinsfreien, nicht rückzahlbaren »Darlehen« in Höhe von dreitausend Dollar zu helfen, die er ihnen in einer Summe übergeben werde, sobald Coleman ein College besuche und die Familie zusätzliche Ausgaben zu bewältigen habe. Als Gegenleistung erwarte er nicht soviel, wie sie vielleicht dächten. Als Zweiter seiner Klasse werde Coleman noch immer der beste farbige Schüler des Abschlussjahrgangs 1944 sein, ja der beste farbige Schüler, der je den Abschluss an der East Orange Highschool gemacht habe. Mit seinem Notendurchschnitt werde Coleman höchstwahrscheinlich der beste farbige Schüler im Landkreis, ja im ganzen Staat sein, und ob er der Beste oder der Zweitbeste seiner Klasse gewesen sei, werde bei seiner Einschreibung an der Howard University keine Rolle spielen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mit einem solchen Notendurchschnitt auch nur die geringsten Schwierigkeiten haben werde, sei verschwindend klein. Coleman werde also nichts verlieren, wogegen die Silks dreitausend Dollar zusätzlich haben würden, um die Collegeausbildung ihrer Kinder zu bezahlen; außerdem sei es gut möglich, dass Gladys Silk mit Dr. Fenstermans Hilfe und Unterstützung in wenigen Jahren die erste farbige Stationsschwester in Newark sein werde. Und Coleman müsse dafür nichts weiter tun, als in seinen beiden schwächsten Fächern bei der Abschlussprüfung keine Eins, sondern jeweils eine Zwei zu schreiben. An Bert werde es dann sein, alle Prüfungen mit Eins zu bestehen - das sei sein Teil der Abmachung. Und falls Bert alle Beteiligten enttäusche, indem er nicht eifrig genug lerne, um in allen Fächern mit Eins abzuschließen, würden die beiden Jungen eben denselben Notendurchschnitt haben - oder vielleicht werde Coleman dann sogar der Klassenbeste sein. Auch in diesem Fall werde Dr. Fensterman sein Versprechen halten. Unnötig zu sagen, dass alle Beteiligten Stillschweigen über diese Vereinbarung bewahren würden.
Coleman war so entzückt, dass er sich von Ernestine Losriss und in überschäumender Freude davonrannte, die Central hinunter bis zur Evergreen und wieder zurück, wobei er rief: »Meine beiden schwächsten Fächer - welche sind das?« Es war, als hätte Dr. Fensterman, indem er Coleman mit schulischen Schwächen in Zusammenhang brachte, einen unerhört komischen Witz erzählt. »Was haben sie gesagt, Ern? Was hat Dad gesagt?« »Ich konnte es nicht verstehen. Er hat zu leise gesprochen.« »Was hat Mom gesagt?« »Ich weiß nicht. Ich konnte Mom auch nicht verstehen. Aber ich hab gehört, was sie gesagt haben, als Dr. Fensterman weg war.«
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