Der Metzger bricht das Eis
Multifunktionsmesser. Und ja, für Toni Schuster ist das erste l gefühlsmäßig ein t, also ein Muttifunktionsmesser, so viel Fürsorge hat dieses Wunderding schon bewiesen, da kann seine eigene Mama, Gott hab sie selig, sich posthum noch ein Beispiel nehmen.
Jetzt jedenfalls ist Winter, Toni Schuster fühlt sich dank Overall und dank des innen kuscheligen und außen schwarz glänzenden Helms mit Totenkopfmotiv wohltemperiert, die Straße ist wunderbar verschneit, und seine Rosi will geritten werden. »Rosi sollst du heißen!«, das war ihm vom ersten Augenblick an klar. Heißt ja auch nicht »das Motorrad«, sondern »die Maschin«, »die Eierschaukel«, »die Pupperlhutschen«, allesamt durchwegs weiblich, und wenn er wo gern aufhockt, dann auf einem Weibchen. Genau das allerdings ist sein Problem: Heimbringen wollen sie sich alle lassen, die Damen, mit Zweithelm und diesem vielversprechenden Klammergriff von hinten um seine Hüfte, aber mit hinauf in die Wohnung hat ihn noch keine gebeten. Dabei wäre er ja treu bis in den Tod, was bis dato nur seine Rosi zu spüren bekommt, denn markentreu zu seinem Zweirad genießt auch ein entsprechendes Vierrad seine Zuwendung: ein Honda Civic.
So ist der einsame Reiter Toni Schuster also kein Küsser, sondern nur ein Tankküsserkönig. Hautnah liegt er auf seiner Maschin, allerdings nicht aus Liebe, sondern rein aus physiognomischen Gründen. Jeder andere mit seiner Größe hätte die Schulzeit nicht ohne bleibenden psychischen Schaden überstanden. Weil Toni Schuster aber, angespielt auf sein zögerliches Längenwachstum von Natur aus, ohne zu zögern niemanden etwas ohne physischen Schaden hat überstehen lassen, ist sein Selbstwertgefühl wegen der deutlich sichtbaren fehlenden Zentimeter keinen Millimeter geschrumpft, ganz im Gegenteil. Ein ganz ein Großer ist er also trotz seiner Kleinwüchsigkeit, in seinem Freundeskreis, im beinah täglich von ihm frequentierten Fitnesscenter, inmitten seiner wöchentlich donnerstags stattfindenden Scrabblerunde, bei seinen Kollegen von der Berufsfeuerwehr und vor allem auf der Straße. Und weil er sowohl für sein Leben als auch für seinen Beruf gänzlich vom Leitsatz: »Mir steigt keiner auf den Schlauch!« gelenkt wird, lenkt er mit entsprechender Ambition auch seine Rosi.
Sicher, ein wenig verunsichert hat es ihn schon, wie vor Kurzem sein Freund, der Poldi Kratochwill, in ähnlich aerodynamischer Adjustierung nach einer verpfuschten Links-Rechts-Kombination zwar wunderbar aerodynamisch an den Stamm einer Eiche geprallt ist, aber trotzdem auf Anhieb tot war. Und ja, natürlich erinnert er sich genau an dieser Stelle nun jedes Mal an den Lieblingssatz seines Mitreiters: »Toni, wir sind zwei Apachen, die Straße ist unser Kriegspfad, und Manitu steh uns bei.« Nur: Gebremst werden muss deshalb noch lange nicht. Wozu fährt man auch ein derartiges Motorrad, wenn nicht ein ums andre Mal mit dem Vorhaben in die Serpentinen zu starten, die eigene Bestzeit zu knacken, besonders bei Nacht und Schneefall.
Alles, was sich auf der Straße vor ihm bewegt, ist somit eine potenzielle Bedrohung seiner auf der Rückseite des Overalls abgedruckten gelben Nummer Eins. Und jedem Vordermann diese Rückseite zu zeigen, das ist die motorisierte Mission des Toni Schuster, jedem. Ausnahmslos. Auch einem Dienstfahrzeug der Polizei, was natürlich eine besondere Herausforderung darstellt.
Dass diese Polypenleibschüssel justament vor ihm in einer Fünfzigerzone mit narkotisierenden dreißig Stundenkilometern die Kurven hinaufschleichen muss, passt ihm jetzt also gar nicht.
»Verdammt, Krainer, nicht noch langsamer. Fünfzig sind erlaubt, wir fahren vierzig, alles klar, und wenn er uns überholt, haben wir ihn.«
Seit das Kommando der Dienststelle in weiblicher Hand liegt, hat sich das Klima gehörig geändert. Nicht, dass davor bei der Erledigung wichtiger Fälle ein nachlässiger Stil gepflegt worden wäre. Nur genau da liegt die Abweichung. Für die ambitionierte neue Chefin Irene Moritz gibt es keine wichtigen und unwichtigen, sondern nur offene und erledigte Fälle – was für ihre Mitarbeiter bedeutet: Die Einzigen, die in ihrer Truppe eine ruhige Kugel schieben, sind die Dienstwaffen. Geschossen wird nur im äußersten Notfall, wobei Irene Moritz zugegebenerweise in Zusammenhang mit ihrem aktuellen Sitznachbarn gelegentlich schon ein nervöses Jucken im rechten Zeigefinger ortet. Da kommt der Urlaub mehr als gelegen.
»Also gut,
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