Der Metzger bricht das Eis
Anna?«, traut der Metzger seinen Ohren nicht.
Josef Krainer steuert bereits auf die Terrassentür zu: »Darum muss sich das Spital kümmern oder das Jugendamt, ich bin ja nicht die Wohlfahrt.« Der Rest ist Schweigen.
Feinfühlige Menschen gibt es, dagegen ist ein Aufwärtshaken ein sanftes Betäubungsmittel. Windelweich geprügelt von den Ereignissen dieses Tages fühlt sich mittlerweile auch der Metzger.
»Na, war ziemlich hartnäckige berufsbedingte Verspätung?«, schmettert ihm Danjela Djurkovic aus der Küche entgegen.
Kleine Sünden werden eben sofort bestraft. Auch wenn es mit der besten Absicht verbreitet wurde: Ein Märchen bleibt ein Märchen. Das wird nun also keine leichte Aufgabe, der Geliebten plausibel zu erklären, warum man ihr zuvor ein bisserl einen Bären aufgebunden hat, weiß er bereits beim Eintreten in sein beziehungsweise in das seit geraumer Zeit gemeinsam bewohnte Refugium, der Willibald. Wobei das Eintreten nicht mehr ganz so einfach ist wie früher: Erfüllt ist das Vorzimmer von jener heimeligen Unordnung, die dem Metzger sofort offenbart: Herrin und Hund sind zugegen. Liebevoll und stürmisch hechelt der Mitbewohner Edgar seinem Schwiegerherrchen den Hosenfalz hinauf, was den um sein Gleichgewicht ringenden Metzger nicht automatisch in die Stimmung versetzt, diese ihm erteilte Liebenswürdigkeit auch akkurat zu erwidern.
»Mensch, irgendwann haut’s mich hin, und auf wen flieg ich dann drauf? Auf dich«, lautet also seine Begrüßung.
»Na, dann ist Hund platt, aber nix mehr vor Freude!«, kommt es vergnügt aus der Küche. Und schon ist er weg, der kleine Unmut im Gemüt des Restaurators, und schon ist sie da, die von Hundeseite geforderte Streicheleinheit:
»Das wollen wir natürlich nicht, Edgar, gell? Ist schon gut, ja, ja, bist eh mein kleiner Stinker!«
»Nix Stinker, ist gewälzt in Schnee und gebürstet!«, tönt es erneut aus der Küche.
Ein bisschen Stinker ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, geht es dem Metzger durch den Kopf. Liegt ja auch eine nicht gerade bescheidene Duftnote gründlich gebratener Speckscheiben in der Luft. Wenn Danjela Djurkovic die Herdplatte aufheizt, dann eben ordentlich.
»Wird nix lange herumgefackelt, muss schnell gehen in Küche«, so lautet ihre Devise. Zumindest das mit dem Herumfackeln sieht auch der Metzger völlig ein und hat folglich als lebenserhaltende Sofortmaßnahme nach einigen bedenklichen Entflammungsakten den Gas- gegen einen Induktionsherd austauschen lassen.
»Ah, es duftet nach Speck!«
»Ja, gibt dazu wunderbare Schwarzbrot mit knusprige Halloumi und knackige Salatblätter.«
Dass da etwas knusprig und knackig ist, lässt sich bereits im Vorzimmer erahnen, stellt sich nur die Frage, ob das Schwarzbrot vorher ein Weißbrot war.
»Stell dir vor, was passiert ist!«, beginnt der Metzger, zumindest in Anbetracht der hellbraunen Semmel beruhigt, wenig später bei Tisch zu erzählen. Und weil seine Danjela nicht nur eine höchst aufmerksame Zuhörerin, sondern auch ein analytischer Kopf, ausgestattet mit einem Elefantengedächtnis, ist, kommt am Ende, was kommen muss:
»Versteh ich richtig: War sogenannte berufsbedingte Verspätung nix anderes als Lieferung von Geldbörse in Spital. Ist meine Willibald neben Restaurator also auch noch Botendienst und kleine Märchenonkel?«
»Ich wollte einfach nicht, dass du dir in Zukunft noch mehr Sorgen machst, wenn ich mit Lilli unterwegs bin!«
»Mach ich mir aber noch mehr Sorge, wenn weiß ich, dass Mann wird aus lauter Sorge wegen mögliche Sorge von Frau zu große Dichter? Ist lieb von dir, kleines Shakespeare, brauchst du mich aber nix schonen, bin ich schon große Mädchen. So, kleine Lausbub, und jetzt isst du ordentlich, auch für Wachstum. Weil brauchen nix flunkern, große Buben!«
Es folgen ein liebevoller Kuss und die einzig angemessene Strafe: Nachschlag. Ein wunderbar gemimtes »Herrlich« rutscht aus dem Mund eines Verzweifelten, also gleich die nächste Lüge. Wenn große Buben in puncto Auftischen der Wahrheit absolut standhaft sind, ist es in puncto Friedliches Zusammenleben gelegentlich nicht unbedingt von Nachteil, ein kleiner Junge zu sein.
8
Ein kleiner Junge erwartet den Metzger in gewisser Weise auch am nächsten Morgen in der Werkstatt, denn auf dem Programm steht die Wiederherstellung eines verstümmelten männlichen Holzengels. Pausbackig die Wangen, lieblich das Gesicht, speckig die Rundungen, was ihm fehlt, sind die Finger beider Hände,
Weitere Kostenlose Bücher