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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Friedmann zeigt keinerlei Regung und wartet, bis der Metzger auf die Fahrerseite rückt.
    Was er aus triftigen Gründen nicht tut.
    »Aber, aber…«
    »Nichts ›aber‹!«, unterbricht ihn Sascha Friedmann kalt. ›»Aber‹ ist an Ihrer Stelle jetzt das falsche Wort. Sie tun bitte, was ich sage, und zwar ohne zu reden! Zum Reden kommen Sie schon noch. Und jetzt rutschen Sie rüber!« Dabei drückt er dem Metzger grob den Lauf der Pistole in die Rippen – mit diesem seltsamen, beinah freundlichen Gesichtsausdruck. Das ist kein gutes Zeichen.
    Entsprechend der Aufforderung wechselt Willibald Adrian Metzger schweigsam zur Fahrerseite, klammert sich am Lenkrad fest, der Schweiß rinnt ihm von der Stirn, seine Lippen sind blutleer, sein Mund ist trocken.
    Er weiß absolut nicht, was zu tun ist. Sein rechter Mundwinkel zuckt, seine Hände zittern, ihm ist zum Heulen.
    »Fahren Sie jetzt los!«, hört er von rechts.
    »Tut mir leid, aber das geht nicht!«
    »Was heißt, das geht nicht?«
    »Ich, ich, ich hab keinen Führerschein!«
    Es dauert ein Weilchen, bis Sascha Friedmann reagiert: »Wollen Sie mich verarschen?«
    »Nein, um Gottes willen. Ich hab wirklich keinen Führerschein!«
    »Aber fahren werden Sie ja wohl können?«
    Das ist wahrscheinlich auf dem Land so, denkt sich der Metzger, und antwortet: »Nein, kann ich nicht!«
    Sascha Friedmann ist sichtlich vor den Kopf gestoßen, was der Metzger auch gleich sein wird, und meint: »Mit einer Automatik fahren kann der größte Vollidiot! Starten, Schalter von P auf D legen und vom Brems- aufs Gaspedal steigen!«
    Ganz im Gegenteil zu manchem Fahrlehrer beglückt Sascha Friedmann seinen Schüler weder mit blöden Witzchen noch mit unsittlichen Tätscheleien, noch liegt es ihm am Herzen, dem Lenker so lange die eigene Unfähigkeit zu verdeutlichen, bis dieser freiwillig zur Einsicht gelangt: Ohne ein paar Zusatzstunden wird das nichts mit dem Führerschein.
    Sascha Friedmann hat keine Extrastunden zu vergeben. Langsam, beziehungsweise sehr, sehr langsam, nimmt der Metzger schweißgebadet die Fahrt auf, da könnte sich ein kleines Menschlein bei seinen ersten Gehversuchen noch kommod an der Stoßstange festhalten.
    »Mit dem linken Fuß weg von der Bremse!«, ist die erste Anweisung, der dann umgehend die zweite folgt, schon deutlich ungehaltener: »Anhalten!«
    Nach einer kurzen Gedankenpause meint Sascha Friedmann: »Sie können ja wirklich nicht fahren!«
    Aus dem Laderaum meldet sich Edgar. Behaglich eingerollt beginnt er zu schnarchen.
    Als wäre das die passende Inspiration, greift Sascha Friedmann erneut in das Fach unter dem Beifahrersitz, nimmt eine kleine braune Glasflasche samt Stofftaschentuch heraus, reicht beides dem Metzger, weist ihn an, den Stoff damit zu tränken, lässt sich beides wieder zurückgeben und erklärt: »Dann müssen Sie halt schlafen!«
    Der sich im Wagen breitmachende Duft löst beim Metzger Panik aus. Und wie ihm Sascha Friedmann das
    Taschentuch ins Gesicht pressen will, reißt er widerspenstig die Arme hoch.
    Willibald Adrian Metzger ist ein friedlicher Mensch, dem seine Ungefährlichkeit auch deutlich anzusehen ist. Schwächling ist er allerdings keiner. Selbst der kräftige Petar Wollnar hat dem Metzger des Öfteren schon ein anerkennendes Kopfnicken zuteilwerden lassen, wenn der Restaurator mit scheinbarer Leichtigkeit ein Möbelstück gepackt hat, das dem Hausmeister allein beim Anblick den Schweiß auf die Stirn treibt.
    Energisch umfasst er die Hand von Sascha Friedmann, dem durchaus ein wenig Überraschung anzusehen ist.
    Freiwillig einschläfern lass ich mich nicht!, denkt sich der Metzger. Mehr als ein mitleidiges »Nett!« kann sich das Hirn seines Gegenübers allerdings nicht abringen.
    Und da das Handlungsrepertoire eines überraschten Bauernbuben das eines verzweifelten Restaurators an Reichhaltigkeit bei Weitem übertrifft, trifft den Metzger nun eine beachtliche Reaktion. Beachtlich, weil sie ihm ganz schön ins Auge springt, die ansatzlose rechte Gerade. Langsam verschwimmen die Konturen der Umgebung, alles scheint sich zu entfernen, nur das Lenkrad kommt näher. Kraftlos, ohne etwas dagegen tun zu können, kippt der Metzger langsam nach vorn.
    Dann verliert er das Bewusstsein.
    Dass ein Schädel derart brummen kann, ist selbst für den alkoholgeeichten Willibald eine neue Erfahrung. Eine Erfahrung, die den Weitblick nicht unbedingt bereichert und nur deshalb eine gewisse Einsicht zur Folge hat, weil der Metzger

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