Der Metzger geht fremd
betätigt die Spülung und verlässt alles andere als erleichtert die Toilette. Er darf sich auf keinen Fall seine Verunsicherung anmerken lassen. Wobei ihm da im Hinblick auf seine kleine Notlüge sein blasses Gesicht durchaus zugutekommt.
»Na, Sie sehn ja ganz schön fertig aus. Ich bring Sie wieder heim!«
Sascha Friedmann pfeift, und wie selbstverständlich flitzt Edgar aus der Küche in den Vorraum. Sein vertrauensseliges Schwanzwedeln wird ihm noch gehörig vergehen.
»Weit ist es ja nicht bis zur Werkstatt!«, denkt sich der Metzger, als sich der Kastenwagen in Bewegung setzt.
Ohne jegliche Zweiradambition und ohne Führerschein ist eine Vertrautheit mit dem Einbahnsystem des Straßennetzes nicht wirklich erforderlich. Doch obwohl der Metzger jetzt nicht sagen könnte, welcher Straßenverlauf für den Kastenwagen der kürzeste Weg zu seiner Werkstatt wäre, weiß er eines mit Sicherheit: So wie Sascha Friedmann fährt, wird es wohl länger dauern.
Und das liegt nicht an der gewählten Geschwindigkeit, sondern an der eingeschlagenen Richtung. Die Werkstatt läge stadteinwärts, Sascha Friedmann fährt stadtauswärts.
Zügig, still und ernst.
Auffällig ernst.
Willibald Adrian Metzger braucht lange, bis er sich zu einer Bemerkung überwinden kann, genauer gesagt, beinah bis zur Autobahnauffahrt.
»Herr Friedmann, ich find es ja sehr nett, dass Sie mich heimbringen wollen, aber wir sind falsch.«
Den Blick auf die Straße gerichtet, ohne die Miene zu verziehen, dauert es ein wenig, bis mit ruhiger Stimme die Antwort folgt: »Ich muss nur schnell noch was erledigen!«
Gott sei Dank hat er »was« und nicht »wen« gesagt, geht es dem Metzger durch den Kopf.
Unmittelbar vor der Autobahnauffahrt erreichen sie rechter Hand einen kleinen Parkplatz mit geöffneten Schranken. Sascha Friedmann biegt ab, fährt hinein, bleibt mitten auf dem Asphalt stehen, steigt aus, geht zur Beifahrertür und öffnet das Handschuhfach. Er nimmt ihn heraus und klappt ihn auf. Der Nächste, der mit so was herumspielt. Auch Sascha Friedmann hat also einen Taschenfeitel, den bekommt so ein Bauernbub wohl zur Erstkommunion.
Im Metzger regt sich erhebliche Unruhe.
»Gleich geht's weiter!«, erklärt Sascha Friedmann, beginnt mit dem Feitel unter dem Beifahrersitz herumzuschrauben, bis sich eine kleine Plastikklappe öffnen lässt. Dann steckt er das Taschenmesser in die Hosentasche, erhebt sich, und der Metzger schaut in den Lauf einer Pistole.
Eiskalt sind die Worte, völlig kompromisslos die Augen und schrecklich die Aussichten: »Sie fahren!«
58
DANJELA DJURKOVIC HAT ALSO eine neue Freundin. Gertrude Leimböck.
Es ist ein Irrtum anzunehmen, man könnte sich seine Freunde selbst auswählen. Ein grober Irrtum: Es kann passieren, dass ein X ein Y bereits zu seinen Freunden zählt, nur weil sich dieses Y mehrere Male von diesem
X geduldig am Telefon hat vollschwatzen lassen, ohne frühzeitig aufzulegen. Ein X, welches vom angerufenen Y nicht einmal ansatzweise als Bekannter, geschweige denn als Freund bezeichnet werden würde.
Freunde kann man sich nicht aussuchen, sie erklären sich selbst dazu, ungefragt, und erst wenn diese Erklärung ebenso ungefragt und vor allem freiwillig auf Gegenseitigkeit beruht, gesellt sich zum einseitigen »Freund-« auch das zweiseitige »-schaft« hinzu.
Eine Freundschaft wird das zwischen der Djurkovic und der Leimböck sicher nie. Gertrude Leimböck zählt zu jenen Menschen, an denen man, ohne Reißaus zu nehmen, nicht vorbeikommt, die sich einem mit einer derartigen Penetranz ins Blickfeld stellen und dabei so viel Bedrohlichkeit ausstrahlen, dass für einen gewissen möglichst kurzen Lebensabschnitt keine andere Überwindung möglich erscheint, als sich mit ihnen zu arrangieren, sie als »Freund« anzunehmen, ihnen kurzzeitig zu geben, was sie wollen, nämlich die notwendige Aufmerksamkeit.
Natürlich goutiert Helene Burgstaller diese Veränderung im Beziehungsgeflecht »ihrer Danjela« anfangs nur bedingt. Wie ihr dann allerdings die Djurkovic im Vertrauen die Entstehungsgeschichte ihrer neuen Frisur erläutert, wird auch der Burgstaller klar, eine neue Freundin könnte sie vorsichtshalber durchaus vertragen. Insofern verbindet sie nun mit der Leimböck eine neue und mit der Djurkovic die alte Bande. So stehen die drei Damen an diesem Vormittag also in trauter Dreisamkeit vereint, zusammen mit den meisten Kurgästen vor dem prunkvollen Portal des Sonnenhofs, beobachten, wie zwei
Weitere Kostenlose Bücher