Der Metzger geht fremd
Anzböck ausgeborgt haben. Nie und nimmer. Das wäre ja ein ähnlich absurder Zufall, als hätte der Sonnenhof-Hausmeister bei seinem Sturz ins Haifischbecken genau dasselbe Schutzengelketterl mit lieblichem pausbackigen rosa Gesichtchen auf blauem Hintergrund um den Hals gehabt, wie es Alexander Friedmann, einst wohl als Taufgeschenk bekommen, heute eindeutig nicht mehr um den Hals trägt.
Denn unter dem weit aufgeknöpften karierten Kurzarmhemd baumelt, fast wie bei Edgar, ein Lederhalsband. Ein viel dünneres, sportliches natürlich, eines von der Sorte, das jedem Mannsbild, egal wie konservativ und zugeknöpft es auch immer ist, unweigerlich einen Hauch von Surflehrer, Frontman einer Boyband oder Betreiber einer Solariumkette verpasst.
»Tragen wir ihn rein!«
Sascha oder doch wohl besser Alexander Friedmann öffnet die Tür.
»Na komm! Jaja, kriegst schon was!«
Edgar, nachdem er das Treppenhaus erkundschaftet hat, stürmt euphorisch in die Wohnung.
Das wär halt ein Herrchen ganz nach seinem Geschmack, denn der erste Weg führt Sascha Friedmann zum Kühlschrank, um ein Radl Extrawurst an den Hund zu bringen.
Erst dann öffnet er das Gefrierfach, wickelt ein paar Eiswürfel in ein Geschirrtuch und presst sich das Ganze anstellte des Stofftaschentuchs auf seine Blutung.
Der Metzger muss sich zur Beruhigung dringend zurückziehen, ohne Verdacht zu wecken.
»Dürft ich kurz Ihr WC benutzen?«
»Aber natürlich! Erste Tür rechts!«
Willibald Adrian Metzger legt sein Jackett auf dem Vorzimmersessel ab und folgt der Wegbeschreibung.
Ohne den Klodeckel herunterzuklappen, setzt er sich hin, niedergeschlagen und unfähig zu einem klaren Gedanken. Heftig zuckt sein rechter Mundwinkel, nur zum Lachen ist ihm nicht.
Jetzt heißt es gut durchatmen, auch wenn das nicht unbedingt der geeignetste Ort dazu ist. Überhaupt kann hier auf dem Friedmann-Thron von Sichsammeln keine Rede sein, denn wie soll sich der Metzger auch sammeln können, wenn er unfreiwillig gleich den nächsten desillu-sionierenden Eindruck zu sammeln hat. An der Innenseite der Toilettentür ist, direkt vor den Augen des bleichen Willibald, eine Pinnwand angebracht. Mit bunten Reißnägeln fixiert, leuchten dem Betrachter kleine Zettelchen entgegen und sollen wohl als zweites Gedächtnis den Geist erhellen.
Auf einem steht: »Weiße Dispersionsfarbe kaufen.«
Auf einem anderen: »Post umleiten!«
Auf einem weiteren: »Matratze besorgen!«
An und für sich harmlose Notizen, wäre da nicht dieser Schriftzug.
Ein bekannter Schriftzug. Denn natürlich hat sich der Metzger am Wochenende im Zimmer seiner Danjela die an Xaver gerichteten väterlichen Briefe genau angesehen, die im Übrigen gerade draußen in seiner Jackettinnentasche stecken.
Und natürlich hat die Djurkovic recht gehabt mit ihrer Beurteilung: »Schaust du, ist so schöne Schrift für eine Mann, so kunstvoll geschwungene M und feine A, und schau mal diese lustige Schlauferl bei G!«
Dass sich so ein lustiges Schlauferl samt restlicher kalligrafischer Finessen genauso weitervererbt wie beispielsweise die beiden überdimensionalen gurkenhaften großen Zehen eines Xaver-Jakob Förster, wobei sich unter den Sandalen seines Bruders Sascha nicht einmal annähernd derartige Suppenlöffel breitmachen, kann der Willibald kaum glauben. Die väterlichen Briefe hat Alexander Friedmann also selbst verfasst. Und plötzlich passt alles zusammen:
Das von Danjela unter dem Buchsbaum vor der großen Glasscheibe des Schwimmbads gefundene Taschentuch und das Schutzengelketterl im Hainschbecken stammen nicht von Ferdinand Anzböck, sondern von Alexander Friedmann, genauso wie die im Zimmer gefundenen Briefentwürfe!
Was bedeuten könnte, dass Alexander Friedmann zuerst seinen eigenen Vater, dann Ferdinand Anzböck getötet und währenddessen seinen jüngsten Bruder durch ein gefälschtes, wie auch immer geartetes Schreiben in die Irre geführt und dadurch Xaver zum Mörder gemacht hat.
Was schließlich nichts anderes heißt als: Der Metzger befindet sich im Augenblick, im wahrsten Sinn des Wortes, in einer absolut beschissenen Situation. Er muss hier weg. Schleunigst.
»Alles in Ordnung bei Ihnen?«, hört er von draußen.
»Es geht so! Mein Magen macht mir ziemlich Probleme!«
»Oje! Ich hätte da in meiner Hausapotheke sowohl was gegen Durchfall als auch gegen Übelkeit!«
»Das ist lieb, aber ich glaub, mit dem Essen wird das heute nichts! Ich sollte eher nach Hause!«
Der Metzger
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