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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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das sonderbare Dreigestirn Geburtslos, Prägung und Sozialisation eine noch sonderbarere Rechtfertigung oder gar Entschuldigung zugesprochen wird, bleibt er ein Verbrechen.
    Hans Hirzinger weint, und all jenen unfreiwillig auserkorenen Endabnehmern seiner Gewalt werden diese Tränen nichts mehr nutzen.
    Aber weil natürlich Menschen, die sich durch Regungslosigkeit gegenüber dem Leid anderer auszeichnen, nicht auch gleich zwangsweise mit ihrem eigenen Leid die gleiche Regungslosigkeit ernten, geht dem Metzger das Gewinsel des Hausherrn ziemlich nahe. Was auch kein Wunder ist. Schließlich ist der Willibald momentan selbst sehr nahe am Wasser gebaut, und das liegt weniger an der allgemeinen Endzeitstimmung unterm Gebälk als am Jahrhundertregen, der sich grollend über den Hirzinger-Hof ergießt.
    »Beruhigen Sie sich, Herr Hirzinger. Wir kommen hier raus!«, meint er also mit bemüht ruhiger Stimme. Und hörbar meinen kann er das, weil Alexander Friedmann bei ihm das Klebeband vergessen hat.
    Hans Hirzinger reagiert nicht. Stattdessen spürt der seitlich im Staub liegende Metzger einen leichten Druck am Ende seines Rückens. Seine besänftigende Stimme hat nämlich noch jemand gehört, der vom menschlichen Gefasel sowieso selten das »Was«, sondern hauptsächlich das »Wie« versteht. Schutz suchend presst der aus einer Dachbodenecke hervorgehuschte Edgar sein behaartes Hinterteil an das des Willibald und dreht sich dabei immer wieder, so wie beim nervenaufreibend endlosen Platzerlsuchen, um seine eigene Achse. Dann läuft er jaulend zum umwickelten Kopf, schnüffelt, läuft zu den gefesselten Händen und schleckt sie ab.
    »Na, da schau her, bin ich dir also wieder gut genug!«, begrüßt der Metzger seinen Besucher und setzt das eben erst Gelernte umgehend in die Tat um: »Jaja, bist ein Braver, ein ganz ein Braver!«
    So ein Hund ist ja nicht herzlos und zeigt durchaus gern seine Zuneigung. Der Metzger ist natürlich auch nicht herzlos, nur mit der ihm zugedachten feuchtfröhlichen Liebesbekundung durch eine sabbernde Zunge, die weiß Gott wo schon ihre Nase hineingesteckt hat, wird er einfach nicht warm.
    Warm wird ihm allerdings demnächst noch ordentlich, zuerst äußerlich und dann innerlich, auch wegen der Zunge.
    Die arbeitet sich nun gierig unter das Jackett. Immerhin dringen von dort die ungewohnt zärtlichen Worte des Restaurators an die damit nicht gerade verwöhnten Hundeohren: »Jaja, Edgar, ich bin ja auch froh, dass du da bist! Ist schon gut!«
    Gut ist das wirklich, denn immerhin ist Edgar der Hund von Danjela Djurkovic, was bedeutet: Da sich Hund und Herrchen, das in diesem Fall ja ein Frauchen ist, aus unerfindlichen Gründen auch tatsächlich ähneln, gibt Edgar erst auf, wenn er bekommt, was er sich in seinen Kopf gesetzt hat, nämlich den Kopf des Willibald Adrian Metzger. Dieser wird nun einer bizarren Massage unterzogen, denn ein sich heftig bewegendes, um den Kopf gewickeltes Jackett kann schon eine ziemliche Reibung zustande bringen. Energisch zerrt Edgar abwechselnd in verschiedene Richtungen, verbeißt sich einmal in die Schulterpolster, einmal in die Knopfreihe, einmal in die Brusttasche und schließlich in die Ärmel. Da wird selbst eine nicht als Stretchsakko gedachte Jacke ganz schön flexibel. Und Flexibilität führt bekanntlich zur Unabhängigkeit, auch was den Standort betrifft. Lange dauert es also nicht, und ein Jackett auf vier Pfoten läuft eine triumphierende Ehrenrunde um den Restaurator, bevor sich eine pitschnasse, schmierige Zunge hemmungslos einem befreiten salzigen Gesicht widmet. So ausgiebig, bis sie sich, von jedem Belag gesäubert, nur noch pelzig anfühlt.
    Vom Geruch ganz zu schweigen.
    Ein Geruch, der den Metzger zum Schweigen bringt und schlagartig auch seine eigene Zunge pelzig werden lässt.
    Es riecht nach Rauch.
    63
    »P APA, DU STINKST , wenn du geraucht hast! Du stinkst aus dem Mund, aus der Nase, auf den Fingern, überall. Ich mag kein Bussi von dir, geh weg!«
    Franzi Kaiser sitzt mit verzogenem Gesicht auf der Eckbank, während der Reindl-Bauer für die nächste Runde »Solo« die Karten mischt.
    »Und außerdem hast du geschwindelt!«
    »Nein, hab ich nicht. Aber wenn du nach mir die Richtung wechselst und ich nur mehr eine Karte hab, die zufällig draufpasst, leg ich sie natürlich auf den Stoß, Prinzessin Franziska. Und weil du mir dieses Geschenk gemacht hast, gibt's als kleines Dankeschön ein Bussi. So ist das!«
    »Du bist gemein! Und

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