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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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immer der Anfang, auf den alles hinausläuft. Das Wesen des Daseins beschreibt sich selbst, es geht immer weiter, selbst wenn sich der Mensch am Ende sieht. Warum soll ausgerechnet ganz am Ende alles anders sein, warum soll es ganz am Ende nicht auch einen Anfang geben?
    Beim Abschied strich ihm Luise sanft übers Gesicht.
    »Xaver, ich weiß, was Liebe bedeutet, auch wenn ich es dir nie habe vermitteln können. Mein Herz hat immer
    nur einem Mann gehört, und das war nicht dein Vater. Du kennst ihn, sowohl vom Hof als auch aus der Kuranstalt. Die Welt ist so klein.«
    Dann fiel der Name.
    Sie hatte nichts gewusst von seinem Tod.
    Die Schwestern legten sie ins leere Bett an seiner Seite. Und als sie zu sich kam, gebar sie ihm sein neues Leben mit den Worten: »Ich habe ihn geliebt. Und diese Liebe wird immer ein Gesicht haben. Clara ist seine Tochter!«
    Wenn der Himmel für einen Moment seine Pforten öffnet, regnet es Glück an den dunkelsten Stellen. Nichts ist, wie es war. Nichts.
    Er kann es nicht fassen, es ist wie ein Wunder, das aus all der Bitternis hervorgeht. Clara ist die Tochter von Luise Hirzinger und Ferdinand Anzböck, er selbst ist der Sohn von Paula Hirzinger und August-David Friedmann. Clara ist seine Cousine.
    Der körperliche Schmerz wird vergehen. Und eines weiß er: Sobald er sich wieder erheben kann, wird er endlich ganz er selbst sein dürfen. Mit seinem vollen Herzen.
    Liebe lässt sich nicht einsperren. Jetzt ist sie frei.
    Er weiß, dass sie kommen wird.
    Irgendwann.
    Und er weiß, dass sie nicht mehr gehen muss.
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    »U ND JETZT BIN ICH AN DER R EIHE : Jetzt erzähl ich Ihnen meinen Teil!«
    Aufrecht sitzt er da, erhobenen Hauptes. Mit größter Selbstsicherheit strahlt Alexander Friedmann eine einzige Botschaft an seine düstere Umgebung aus: »Ich bin im Recht, auf ganzer Linie!«
    »Ihren Teil wollen Sie mir erzählen?«, antwortet der Metzger, und ihn ekelt vor dem, was er bereits hören musste, und noch viel mehr vor dieser Selbstgerechtigkeit.
    Was immer jetzt passieren soll, er kann es nicht mehr ändern, sein Schicksal liegt in anderen Händen, seine sind straff mit einer Schnur umwickelt.
    Eine seltsame Gleichgültigkeit hat ihn erfasst, es gibt ja auch wirklich nichts zu verlieren: »Das Erzählen können Sie sich sparen, Herr Friedmann. Ich kenne Ihren Teil! Oder besser gesagt, ich kenne den Teil, der Sie noch um vieles teuflischer macht als Ihren Großvater!«
    Ungeachtet des süffisanten Lächelns, das sich nun im Friedmann-Gesicht breitmacht, setzt der Metzger sein Schlussplädoyer fort: »Und genau deshalb ist es umso unglaublicher, dass Sie sich hier herstellen und glauben, andere richten zu können. Für den Weg, den Sie eingeschlagen haben, gibt es keine Rechtfertigung: So schrecklich dieser Brief auch ist, Sie haben ihn zum Anlass genommen, Ihren eigenen Vater zu betäuben, dann zu ertränken und es wie einen Mord durch Ferdinand Anzböck aussehen zu lassen. Ferdinand Anzböck haben Sie dann beinah auf dieselbe Weise umgebracht und die
    Schuld durch ein von Ihnen verfasstes Schreiben auf die Schultern Ihres älteren Bruders Xaver geladen, der um ein Haar der Rache Ihres jüngsten Bruders Benedikt zum Opfer gefallen wäre. Sie haben vier Menschen auf einen Schlag beseitigt. Jetzt kommen wahrscheinlich auch noch Ihr Großvater und ich an die Reihe. Und da stellen Sie sich hierher und nehmen es sich heraus, über andere zu urteilen? Was sind Sie denn anderes als ein gewissenloser Mehrfachmörder? Wo ist denn da die Gerechtigkeit, frag ich Sie, die Sie vorhin so feierlich angepriesen haben, als wären Sie ihr Verwalter!«
    Mit großer Verachtung blickt der Metzger seinem Gegenüber durchdringend in die Augen. An Alexander Friedmann ist dieser verbale Ausbruch seines Gefangenen nicht spurlos vorübergegangen.
    »Aus Ihrer Sicht haben Sie genauso recht wie ich aus meiner, Herr Metzger. Wie auch immer Sie zu Ihrer Theorie gekommen sind, sie stimmt. Ja, ich hab meinen Vater umgebracht und alle andern. Und für Ihr Bestreben, die Dinge ins rechte Licht zu rücken, bewundere ich Sie. Ganz ehrlich. Wäre mein Vater nur ein wenig gewesen wie Sie. Nur ein klein wenig! Aber nein. Er war ein elender Feigling, der hier am Hof allem regungslos zugesehen hat, dumpf, leer und ohne Liebe; der, anstatt für uns zu laufen, nur für sich gelaufen ist oder vielmehr geschwommen. Er schwamm seiner am Ufer ertrinkenden Familie davon, unbeirrbar, und hat für nichts gekämpft, weder für seine

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