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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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für möglich gehalten. Mit einem einzigen Zwacken durchtrennen die scharfen Metallkanten zwei der Spagatschnüre, und nach zwei weiteren gezielten Eingriffen nimmt der Metzger bereits mit befreiten Händen die Fußfessel in Angriff.
    Jaulend springt Edgar seinem einzig wahren Herrchen auf den Schoß.
    Und irgendwo, über den Gewitterwolken, sitzt die Metzger-Mama und lächelt mit seligem Blick auf die Erde herab.
    »Jetzt lauf schon, mein Jungel!«, hat sie ihrem frisch manikürten Willibald immer zugeflüstert. Genauso befreit, wie er damals seiner Mutter vom Schoß gesprungen ist, springt der Metzger nun auf, läuft zum mittlerweile regungslosen Hans Hirzinger, reißt ihm die Decke vom Kopf und das Klebeband vom Mund. Und während sich der alte Mann blinzelnd an die Helligkeit gewöhnt und innerlich ein Stoßgebet des Dankes für das Erhören des Bittgebets zum Himmel schickt, schickt auch der Metzger mit kräftigen, ausladenden Stößen von innen eine Vielzahl der Dachschindeln in die gleiche Richtung.
    Durch das entstandene Loch zieht der Rauch hinaus und die Frischluft samt Regen herein. Es schüttet in Strömen, was für den Dachboden im Hinblick auf den Hochofen einen Stock darunter und unmittelbar vor der Tür nicht von Nachteil ist.
    Dann muss auch Hans Hirzinger zu denken anfangen, denn nachdem ihm der Metzger seine Fesseln gelöst hat, gibt es für den Hausherrn eine bedeutsame Frage zu beantworten: »Wie kommen wir hier herunter, ohne das Stiegenhaus zu benutzen?«
    Triefend steht der alte Mann auf den glitschigen Holzbrettern seines verlorenen Gutes. Es ist ein langsames, beinah beschämtes Kopfheben, das dem direkten Augenkontakt vorangeht. Die ersten Worte kosten ihn sichtlich Überwindung: »Vergelt's Gott!«
    Für einen Menschen, dem das Formulieren einer positiven Ichbotschaft schwerfällt, bietet ein »Vergelt's Gott« die unverfängliche Möglichkeit, Danke zu sagen.
    Obwohl es natürlich nicht »Danke« heißt, sondern dass Gott in Vertretung der zu Dank verpflichteten Person jemandem etwas vergelten möge – man hat ja immerhin sein Ichbotschaftsproblem. Wobei in diesem Fall Vergeltung vermutlich als ein Erkenntlichzeigen gedacht ist.
    »Gott soll uns lieber da raushelfen!«, meint der Willibald überrascht.
    »Wir können nur noch springen!«, antwortet Hans Hirzinger und deutet aus dem offenen Dach hinunter in den Innenhof.
    Der Metzger nickt.
    Beiden ist klar, was zu geschehen hat. Gemeinsam treten sie an der passenden Stelle über ihrem Zielgebiet abermals einige Dachziegel heraus. Dann stehen sie zu dritt, angesichts des Abgrunds entsprechend still, nebeneinander an der Kante, Edgar rechts außen, dann breitbeinig die beiden Männer, wie zwei Cowboys mit Hund, die kurz davor sind, gleich vom Dach in den Sattel ihrer Pferde zu springen. Pferde warten allerdings keine, obwohl der Landebereich mit Tieren gewaltig viel zu tun hat.
    »Ist es weich?«, fragt der Metzger.
    »Ich denke schon!«, meint Hans Hirzinger und springt.
    Sein gellender Schrei beim Eintritt in die Auffangzone ist weder die Bestätigung der von ihm geäußerten Vermutung noch eine Beruhigung. Nur, was bleibt dem Willibald jetzt schon anderes übrig? Nachdem er den klitschnassen Edgar fest in seine Arme geschlossen hat, springt auch er – und versinkt bis zur Hüfte.
    Glückskind ist er keines, der Willibald, doch obwohl er selbst gerade ziemlich tief in der Scheiße steckt, ist diesmal wer anderer in dieselbe getreten, in Gestalt einer breiten Holzlatte, die wohl zur Gipfelerklimmung des Misthaufens gedacht ist.
    Nachdem der Metzger den Hirzinger-Bauern mit seinem zertrümmerten linken Bein durchs große Tor hinausgetragen hat, sitzen die beiden einige Meter vom lodernden Hirzinger-Hof entfernt fassungslos und entkräftet an einen Holzstapel gelehnt auf dem schlammigen Boden. Ohne Worte. Da gibt es weder was zu reden noch zu jammern, trotz eines Trümmerbruchs und trotz des bald in Trümmern liegenden Bauernhauses.
    Die erste Bemerkung, bevor die strammen Kerle der freiwilligen Feuerwehr eintreffen, also der Tankstellenpächter Karl Rohrbacher und ein paar weitere Postwirt-Stammgäste, stammt dann allerdings aus keinem männlichen Mund: »Jetzt bist du ja schon wieder hingefallen!«
    Dann sitzen sie zu sechst vor diesem gigantischen verspäteten Sonnwendfeuer im Dreck und können es nicht fassen: Edgar, der Metzger, der Hirzinger-, der Kaiserund der Reindl-Bauer und zwischen Papa und Opa die Franzi.
    So ein Feuer hat

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