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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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unbeeindruckt, auf ihn zukommt. Weitaus gelassener als einige Stunden zuvor. Denn der Auftritt dieses feschen Kerls beim Verlassen des Nachbarzimmers 3.15 kam dem Willibald trotz fehlenden Niederschlags im Vergleich zu jetzt eher so vor, als wäre dem ertappten Liebhaber der Himmel auf den Kopf gefallen. Einem knappen, äußerst freundlichen »Kommen Sie!« folgen ein vorsichtiger, aber bestimmter Griff unter die Achsel des Restaurators, die Abnahme des Rades und die Beförderung der beiden ins Wageninnere.
    Im Rückspiegel sieht der Metzger eine dermaßen gigantische Ladefläche – da würde spielend die Möbelgrundausstattung einer Studentenbude Platz haben. Gigantisch und leer, bis auf eine große Werkzeugkiste, Arbeitshandschuhe, eine Schaufel, einen Spaten, einen Krampen, eine Axt, einen großen dunkelbraunen Lederkoffer, ein Rad und nun das zweite Rad. Vorne widerspricht eine penible Aufgeräumtheit jeder Lieferwagenmentalität, was den Metzger zur Bemerkung veranlasst: »Ich mach Ihnen ja alles nass!«
    »Wasser trocknet!«, ist die nicht gerade redselige Antwort, und wären da nicht diese tiefschwarzen treuen Augen, es könnte einem schon angst und bang werden, außer man hat, so wie der Metzger, einen polnischen Hausmeisterfreund, dessen sprachliche Jahresausgangsleistung maximal die Rückseite einer Postkarte füllt.
    »Stimmt!«, setzt der Metzger hinzu. »Das ist wirklich sehr lieb von Ihnen. Ich wohne übrigens ganz in der Nähe, Pension Regina. Metzger ist mein Name. Willibald Adrian Metzger. Also vielen Dank, Herr …?«
    »Friedmann. Kein Problem.«
    Jetzt muss er doch ein wenig schlucken, der Metzger.
    Zwei Namensvettern ohne Verwandtschaftsverhältnis inmitten dieser Einöde erscheint ihm eher unwahrscheinlich. Vielleicht ist an der ganzen Wasserleichengeschichte ja doch etwas faul. Das könnte sich zu einem ziemlich wilden Ritt entwickeln.
    Im Sonnenhof hockt die Djurkovic, deren Neugierde er im Zaum halten muss, auf seiner Schulter hockt mittlerweile ein hartnäckiger Einflüsterer, der ihn drängt, möglichst rasch Licht in diese undurchsichtige Angelegenheit zu bekommen, und neben ihm hockt ein zweiter Friedmann. Nur Friedmann was? Hans, Kurti, Diego, Pavel…?
    Ja, es gibt so Menschen, die der Angabe ihres Nachnamens weder einen Vornamen voranstellen noch hinterherschicken. Der Metzger hat Kundschaften, die kennt er mittlerweile seit zehn Jahren und könnte trotzdem nicht sagen, was da beispielsweise zwischen Dr. und Weinschober hineingehört. Der längst verstorbene Gemüsehändler Navradill ums Eck war zeit seines Lebens sowieso nur »der Gemüsehändler Navradill«, ja, und seine Frau, die war namenstechnisch überhaupt nicht vorhanden, sondern lediglich »die Frau vom Gemüsehändler Navradill«.
    Dem Metzger ist der Vorname seines hilfsbereiten Chauffeurs aber jetzt zunächst einmal egal. Hauptsache, er erspart sich die Steigung.
    Zügig geht es trotz des Regens voran, dann wird für einen kurzen Moment das Bremspedal betätigt, mit der entsprechend marginalen Verzögerungswirkung, die dem angespannten Willibald Adrian in Anbetracht der kommenden scharfen Rechtskurve gar ein wenig lächerlich erscheint. Trotz der gewaltigen Phantombremsleistung, die der führerscheinlose Metzger seinem imaginären Bremspedal entlockt, reduziert sich die Kurvengeschwindigkeit nur unerheblich. Außer, dass sich eine speckige Restauratorenschulter ein wenig dem mächtigen Friedmann-Oberkörper nähert, passiert nicht viel. Sacht pendelt der Metzger aus der Kurve in die Mittellage zurück, dann geht es den Schotterweg hinauf, dank des Regens ohne Staubwolke und ohne an die Windschutzscheibe klatschendes Rotkehlchen.
    Der Haltegriff über der Beifahrertür hat längst mit einer feuchten Hand Bekanntschaft geschlossen, und als der Wagen schließlich zum Stillstand kommt, braucht der Metzger noch ein wenig Ruhezeit, um den Ausstieg schwindelfrei meistern zu können.
    Herr Friedmann hat mittlerweile das Rad ausgeladen und öffnet die Beifahrertür.
    »Das ist ja jetzt schnell gegangen!«, meint der Metzger und lächelt verkrampft seinem Wohltäter zu. »Thausend Dank!«, zischt es ihm dabei unkonzentriert durch die Zahnlücke, unkonzentriert, weil ihm konzentriert inzwischen durchwegs ein sprachfehlerfreies Kommunizieren möglich ist. Es wird ebenso lächelnd zurückgenickt.
    Ein bisserl seltsam kommt es dem Willibald dann schon vor, dass der inzwischen ebenso völlig durchnässte Friedmann selbst im Vorraum

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