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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Spaziergang wird in anmutiger Liebespaarmanier absolviert, viel seufzen, wenig reden, gelegentlich die wunderbare Natur kommentieren.
    Wieder zurück beim Eingang des Kurhotels angelangt, folgt schließlich direkt neben dem dort abgestellten Rad und einem daneben geparkten entsetzlichen Opel Kadett mit Heckspoiler eine innige Verabschiedung mit der nicht ganz so innigen Djurkovic-Bemerkung: »Na schaust du, gehen wir jetzt beide turnen!«
    Dann tritt der Metzger die Bußreise für seine jahrelangen Bewegungssünden an. Die ersten tausend Meter sind noch halbwegs erträglich, trotz des enorm schwülen Wetters. Dass dann jedoch ab dem zweiten Kilometer aus dem lachhaft sanften Gefälle der Hinfahrt eine hinterfotzige, immer heftigere Steigung wird, kann der Metzger nur deuten mit: »Die Erde ist doch eine Scheibe, und der Himmel erteilt mir gerade eine Lektion!«
    Grinsend sieht er ihn vor sich, den Herrgott, wie er mit jedem mühevollen Pedaltritt seines unübersehbar der Maßlosigkeit frönenden Menschenkindes die Platte ein wenig mehr aus der Waagrechten kippt. Dass eine Person innerhalb kurzer Zeit zu so viel Schweißabgabe fähig ist, hätte der Metzger nie für möglich gehalten. Schwer beschäftigt ihn die Frage, wozu ein Rad einundzwanzig Gänge hat, wenn sich der leichteste bergauf immer noch mit kaum bezwingbarem Widerstand jeder Umdrehung entgegenstemmt. Und wie dem Willibald dann um Luft ringend klar wird, dass dieser kaum bezwingbare Widerstand einzig und allein sein eigener Körper ist, hat er noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt.
    Schwer übersäuert schmeißt der Metzger sein Rad in die üppige Futterwiese, folgt diesem umgehend und breitet sich erschöpft im hohen Gras aus. Zwischen Wiesenlieschen, Weidelkraut und Klee gibt er sich bereitwillig seinem kleinen Schwächeanfall hin. Den Kühen ist das wurscht, der Sonne auch, die ist nämlich weg. Dann geht alles sehr schnell. Blitzartig erhebt sich der Wind, ein ohrenbetäubender Donner grollt so nahe, als säße er brüllend auf dem Gepäckträger, und kaum dass sich der Metzger mit seinen müden Muskeln auf die dringende Notwendigkeit weiterer Bewegung geeinigt hat, beginnt es zu schütten, als kämen dem Herrgott in Anbetracht seiner jämmerlichen Kreatur vor lauter Lachen gerade die Tränen.
    Die kommen der Danjela jetzt beinah auch. Denn so ein Regen könnte genau das fortspülen, was mancher Frau besonders am Herzen liegt. Nein, nicht die Wimperntusche, die tönende Tagescreme oder die Undurchsichtigkeit einer weißen Bluse, sondern Informationen. Laufen muss die Danjela, damit sie vor dem riesigen Panoramafenster des Schwimmbads vielleicht doch noch etwas findet.
    Natürlich hat dieses Sauwetter auch den Vorteil, dass kein Mensch auch nur einen Fuß vor die Tür setzt. Folglich steht Danjela Djurkovic allein links der Kuranstalt Sonnenhof, während neben ihr das Wasser wie ein Sturzbach aus der Regenrinne schießt und den Rasen beinah überflutet. Nicht gerade die besten Bedingungen, um etwas zu finden, von dem man gar nicht weiß, wie es aussehen könnte und ob es überhaupt existiert. Einen Versuch ist es in jedem Fall wert, beschließt die Djurkovic. Nass ist man ja in einem Kurhotel ohnedies die meiste Zeit, kommt es also auf einen Guss mehr oder weniger auch nicht mehr an, und außerdem könnte August-David Friedmanns Leben ja auch wirklich von der Sonnenseite des Beckens ins Wasser gefallen sein.
    Gebückt schleicht sie durchs Gras. »Zum Glück ist eine warme Niederschlag«, geht es ihr durch den Kopf, dann schaltet sie auf Allradautomatik. Mit großer nach hinten gerichteter Vorsicht und hoher nach vorn orientierter Konzentration landet sie immer wieder auf allen vieren, in der Hoffnung, selbst übersehen zu werden und selbst nichts zu übersehen.
    Mittlerweile zieht sich eine Schleifspur durchs durchtränkte Gras. Vor einem nach oben hin breiter werdenden Buchsbaum ist es dann vorbei mit dem österlichen Treiben, denn was man von oben aufgrund der ausladenden Breite nicht sieht, sieht man von unten: ein Taschentuch. Aus Stoff. Wer benutzt so etwas heutzutage noch, außer Medizinal-, Hof-, Geheim-, Oberstudienräten, Smokingträgern, Urgroßeltern und rührseligen Erben? Danjela Djurkovic muss lachen, denn einen Menschen kennt sie schon, der diese Tücher gebügelt, gleichmäßig gefaltet und auf Kante gestapelt in seinem Kleiderschrank direkt neben den Unterhosen lagert: Willibald Adrian Metzger. Eines hat er immer in der

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