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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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der Pension nicht von seiner Seite weicht: »Das schaff ich schon allein, wirklich, Sie müssen sich wegen mir nicht mehr aufhalten!«
    »Tu ich nicht, ich wohne hier!«
    Und wieder muss er schlucken, der Metzger.
    Dieser Friedmann hat etwas an sich, etwas Besonderes, Vertrauenswürdiges und Geheimnisvolles zugleich. Ruhig ist sein Gang, der eine große, kräftige, Respekt einflößende Statur aufrecht durchs Leben trägt, und genau in diese überzeugend männliche Gestalt hinein, als ginge es darum, ein friedfertiges Gegengewicht zu setzen, ist dieses beinah feminine Gesicht gezeichnet, dessen einzige Botschaft an die Außenwelt Güte zu sein scheint.
    Bis in den ersten Stock folgt ihm Herr Friedmann und sperrt das Zimmer links der Treppe auf. Der reinliche Mann auf derselben Etage hat also ein Gesicht und halbwegs einen Namen bekommen.
    »Na, dann sehn wir uns ja vielleicht beim Frühstück!«, meint der Metzger, zögert ein wenig und setzt versuchsweise fort: »Tut mir leid, was da in der Kuranstalt passiert ist!«
    Kein Staunen ist den dunklen, freundlichen Augen abzulesen, nicht die geringste Verwunderung, als wäre dieses Wissen seines Gegenübers eine Selbstverständlichkeit.
    »Danke!« Diesmal nickt Herr Friedmann zuerst, und der Metzger nickt lächelnd zurück. So eine kleine höfliche Kopfbewegung schafft oft mehr Vertrautheit als das süßlichste Geschwätz.
    Nach einer kurzen Gedankenpause folgen zwei aufschlussreiche Sätze: »Für Vater war es offenbar Zeit!«
    Und: »Sterben ist leichter als leben.«
    Dann geht er in sein Zimmer.
    Wirklich schlafen kann der Metzger nach seinem zärtlichen mobilen »Gute Nacht« an Danjela Djurkovic auf dieser weichen Matratze im knirschenden Kiefernholzrahmen nicht. Schuld ist aber nicht das Bett. Schuld ist die Begegnung mit diesem Friedmann junior. August-David Friedmann war also sein Vater, einer, für den es Zeit war zu sterben. Warum? Weil er so alt war, weil er schwer krank war, weil er oder ein anderer es so wollte? Warum war für ihn das Sterben leichter als das Leben, und was soll dieser Ring samt lautstark abgetrenntem Finger?
    Müde stülpt sich Willibald Adrian Metzger sein Jackett über den Pyjama, Schlafen ist jetzt ohnedies kein Thema, durchquert schleichend das vom Mondlicht erhellte Treppenhaus und tritt durch die offene Haustür, an deren Innenseite der Schlüssel steckt, hinaus auf den hölzernen Vorbau. Sofort geht sein Blick zum Himmel, verbunden mit einem der tiefsten Atemzüge seines bisherigen Lebens. Schimmernd und galaktisch eröffnet sich dem sonst von flimmernder nächtlicher Dauerbeleuchtung geblendeten Stadtmenschen das überwältigende Firmament. Den Großen Wagen erkennt er, der Willibald, eine jämmerliche Bildungsausbeute für sein Alter, und obwohl er gelegentlich ein kleines Interesse für die Anordnung der Sterne in sich ausmacht, versteckt sich diese Wissbegierde in Anbetracht der ganzen schwachsinnigen Scharlatanerie rund um das Thema Horoskop im hintersten Winkel seiner Gehirnwindungen.
    Wenn ein Mensch bei einer ersten Begegnung gleich nach dem Namen das Sternzeichen wissen will, dann ungefragt eine Litanei an dazupassenden Eigenschaften loswird, sich dabei brüstet wie ein Schriftgelehrter, der seine Kenntnis ausschließlich aus Billig- oder Gratismagazinen bezieht, fragt sich der Metzger, was genau dieselbe Person veranlasst, sich beim Thema Rassismus so liberalitätsgeschwängert aufzuregen. Wo ist bitte der Unterschied, wenn einer bei »Widder« die Augen verdreht oder wenn einer bei »Türke« die Augen verdreht? Beide verdrehen ihre Augen in Gegenwart eines Menschen, von dem sie nichts wissen.
    Aber sonst sind sie herrlich, die Sterne. Zufrieden verkündet er dies ehrfürchtig der Nacht: »Herrlich!« Und während dabei von vorn unbeirrt die Grillen ihr Liedchen singen, hört er aus dem Hintergrund eine gespenstische Erwiderung: »Schön, nicht?«
    Vom Metzger beim Herauskommen einfach übersehen, steht Frau Hackenberger im Nachthemd ans Haus gelehnt.
    »Jaja, wenn der Himmel reingewaschen ist, sieht man die Sterne am besten, nicht?« Und selbstverständlich wird, ohne auf Antwort zu warten, umgehend weitergesprochen: »Kurz vor Vollmond, da hab ich immer so meine Probleme mit dem Einschlafen. Zum Glück, kann man da nur sagen, sonst würde mir nämlich so was Wunderschönes entgehen. Und Sie, Herr Metzger, Sie sind da also auch so ein Sensiberl, nicht?«
    Die hat ihm gerade noch gefehlt, die Hackenberger: »Nicht, was

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