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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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»Aber…!«
    »Nichts aber. Dass ich für diese Kur war, stimmt. Meine Meinung hat sich eben jetzt geändert – Punkt!«
    »Punkt?«
    »Ja, Punkt. Und zwar ein dicker, fetter!«
    »So eine dicke und fette wie der hier?«
    Die Djurkovic deutet zärtlich auf den unter dem Kurzarmhemd hervorleuchtenden blauen Fleck, eine der zahlreichen schmerzhaften Erinnerungen an seinen gestrigen Sturz vom Rad.
    »So in etwa!«
    »Arme Willibald, bist du lädiert wegen mir und hast du schlecht geschlafen in Pension. Hab ich auch wenig geschlafen diese Nacht. Können wir ja machen gemeinsames kleines Schlaferl in große Bett!«
    Die noch mangelnde Müdigkeit erarbeiten sich die beiden dann durch diverse Überlegungen zu dem innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden angehäuften Material.
    •   Da erzählt der Metzger zum Beispiel von einem Herrn Friedmann ohne Vornamen, Sohn von August-David Friedmann, der nicht nur kurzfristig in Zimmer 3.15, sondern auch langfristig in der Pension Regina eingecheckt hat, und das, bevor sein Vater ertrunken ist. Was gar nichts anderes heißen muss, als dass ein Sohn ausführlich seinen Vater besucht. Einen Vater, dessen Tod er kommentiert mit: »Für Vater war es einfach Zeit!«, und: »Sterben ist leichter als leben!« Weiters erzählt der Metzger von seinem Abenteuer am Etagen-WC der Pension Regina, von seinem Zahn und dem gefundenen leeren Kuvert, auf dem vorn in Blockschrift » FüR MEINEN SOHN« steht.
    •   Worauf sich zum Thema Sohn auch die Danjela einschaltet und euphorisch erklärt, dass am gestrigen Nachmittag von einem Friedmann-Sohn das väterliche Zimmer geräumt wurde, folglich also aus den verzweifelten Schreibversuchen des Vaters doch ein ganzer Brief geworden sein könnte. Einer, den beispielsweise dieser Xaver Friedmann, der da offensichtlich zusammen mit dem Metzger in der Pension Regina wohnt, beim Zimmerräumen gefunden und zwecks entspannten Studiums aufs Häusel mitgenommen hat. Durch diese Schilderung weiß der Willibald zwar jetzt, dass sein Hackenberger-Kollege eventuell Xaver heißen könnte, nur interessiert ihn diese mögliche Erkenntnis momentan einen Schmarren. Da drängen sich nämlich weitaus brennendere Themen auf. Mit der begründeten Angst vor einem unmittelbar bevorstehenden inhaltlichen Meteoriteneinschlag stellt der Metzger betroffen die Frage: »Was für verzweifeite Schreibversuche? Und woher weißt du, dass der Sohn Xaver heißt?« Worauf ihm die Danjela erklärt:
    •   Es gibt dieses Kuvert und die drei zusammengeknüllten angefangenen Briefe des Vaters an einen Sohn Xaver, die sie im Mistkübel des Friedmann-Zimmers gefunden hat und die aufzeigen, dass der Vater eine gewisse Entfremdung registrierte, deswegen ein schlechtes Gewissen und einigen Erklärungsnotstand hatte, sich außerdem für etwas entschuldigen wollte, worüber offenbar lange nicht geredet wurde, und schließlich beim Verfassen der Zeilen sehr aufgewühlt gewesen sein muss.
    Die Meteoriten sind also eingeschlagen und lösen die logische Erschütterung aus. Der Metzger traut seinen Ohren nicht. Die Djurkovic war für ihn bisher, trotz diverser Macken, der Gipfel der Vollkommenheit. Diese galaktische Bruchlandung allerdings hinterlässt einen tiefen Krater. Heftig durchzucken ihn schwere Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit seiner Angebeteten: »Wie bitte, wo bist du gewesen? Sag, bist du noch zu retten? Und wie bist du überhaupt in dieses Zimmer gekommen?«
    Nach entsprechender Schilderung des genauen Hergangs und der Erklärung, wie leicht aus einer gekippten eine geöffnete Balkontür wird, gibt es eine kurze Unterbrechung, weil der Metzger die von ihm, mit durchaus romantischen Ambitionen, mitgebrachte Flasche Blaufränkischen öffnen und zügig zur Hälfte leeren muss. Ja, muss! Schwere Kost lässt sich nur mit anständigem Wein hinunterspülen. Dann hält der im Zwei-mal-zwei-Meter-Bett links liegende, regungslos an die Decke starrende Metzger neben der rechts liegenden, ebenso regungslos an die Decke starrenden Danjela eine in den leeren Raum geschmetterte Ansprache zum Thema: Vernunft, Klugheit, Achtung vor dem Geschenk des wiedergegebenen Lebens, Respekt vor der Gesundheit und der Sorge liebender Menschen, und so weiter, und so fort.
    Da die Ansprache ja nicht direkt an die Danjela gerichtet ist, nutzt diese die nach dem Schlusssatz entstandene Pause, um, ziemlich unbeeindruckt vom Kopfschütteln ihres Bettnachbarn, die besagten Briefe auf dem Bett auszubreiten:

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