Der Metzger geht fremd
abschätzige Blicke, die anderen können ja auch wirklich nicht wissen, aus welchem Grund es zu dieser Wortwahl kam.
»Oh Gott – oh Gott«, dröhnt es plötzlich durch den Speisesaal.
»Das kommt mir bekannt vor«, denkt sich der Metzger. Dann sieht er sie endlich, die Dame aus der Nachbarschaft, nur wenige Meter entfernt.
Unauffälliger könnte eine Frau in dieser Umgebung gar nicht sein. Wüsste er nicht um die Freizeitvergnügungen dieser unscheinbaren Person, sie gäbe optisch eine wunderbare Ordensschwester ab. Ein dunkler, langer Faltenrock, eine weiße Bluse, darüber trotz der Hitze ein dunkler Pullunder, brav zu einem Knoten hochgestecktes Haar und ein tatsächlich frommes Gesicht, dem es momentan etwas an Farbe fehlt.
Deutlich gibt sie zu erkennen, dass ihr der kurze ekstatische Aufschrei äußerst peinlich ist – mit geschlossenen Fingern liegt ihre Hand am Mund, die andere umklammert krampfhaft ein Mobiltelefon.
»Alles in Ordnung!«, beruhigt die blasse Dame ihre etwas verwundert wirkende Umgebung. Dann geht sie am Metzger vorbei aus dem Saal. »Das kann nicht sein!«, murmelt sie dabei vor sich hin.
Er hätte auch ohne die aus der Ferne schelmisch herübergrinsende Danjela begriffen, warum da etwas nicht sein kann.
Mit einem Tablett, auf dem zwei voll beladene Salatteller stehen, kommt die Djurkovic herüber. »Gut, nicht?«, begrüßt sie ihn, das Friedmann-Handy zwischen der rechten Hand und dem Tablett eingeklemmt.
»Was meinst du mit ›gut‹? Das, was du auf die Teller, oder das, was du auf die Schultern dieser sensiblen Frau geladen hast? Ich würde an deiner Stelle ein bisschen aufpassen, Danjela, das kann ins Auge gehen. Immerhin handelt es sich um das Telefon eines Toten!«
Die Djurkovic muss lachen und meint: »Nächste Nummer!«
25
E IN T ELEFON KLINGELT . Das Läuten kommt aus dem Nachtkästchen seines Pflegefalls. Es kam ihm ohnedies sonderbar vor, dass jemand wie sie ein Mobiltelefon besitzt. Sie soll in Ruhe schlafen können, je ausgiebiger und ungestörter, desto gesünder. Das Läuten hört nicht auf. Leise huscht er ins Zimmer, um das Telefon auszuschalten.
Das kann nicht sein.
Zärtlich wird er von hinten umarmt. Auch sie ist hereingekommen.
»Was ist los?«, fragt sie ihn flüsternd, ihre Aufmerksamkeit fürsorglich auf das Bett mit dieser geschundenen Frau gerichtet.
»Das ist los!«, antwortet er und zeigt ihr das Display. Blässe steigt in ihr Gesicht, sie muss sich festhalten, um nicht einzuknicken. Es läutet wieder, dann stellt er das Handy ab.
Das kann einfach nicht sein. Nicht dieser Name. Nicht August-David. August-David Friedmann ist tot.
Dann überlegt er. Natürlich kann es sein. Jeder kann mit diesem Gerät telefonieren, jeder, der es in die Hand bekommt. Nur warum erreicht der Anruf die Frau im Nebenzimmer? Ist so ein Zufall, so eine Namensgleichheit möglich? Es ist auszuschließen.
Warum hat sie diesen Namen eingespeichert?
Warum hatte sein Vater ihre Nummer?
Wer ist sie?
Was stimmt hier nicht?
Der ganze Morgen verläuft schon mysteriös. Ferdinand Anzböck ist verunglückt, das Rückgrat der Kuranstalt. Ein netter Kerl, einfach gestrickt, absolut verlässlich. In letzter Zeit allerdings wirkte Ferdinand Anzböck wie ausgewechselt, leicht fahrig und manchmal geistig abwesend. Trotzdem unvorstellbar, dass er aus Unachtsamkeit zu seinen Fischen stürzt.
Er nimmt einen Notizblock, notiert den Namen August-David Friedmann samt dazugehöriger Nummer und legt im Adressbuch seines Mobiltelefons einen neuen Teilnehmer an. Nach einigem Zögern wählt er die Nummer.
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D IE ERBLASSTE N ACHBARIN auf Zimmer 3.15 heißt Johanna.
Weiters steht in der Liste der gewählten Rufnummern eine Gertrude, was nur die Leimböck sein kann, so die fasziniert vorlesende Djurkovic. Ein Anruf bestätigt diese Theorie. Ziemlich gelassen führt Gertrude Leimböck am Tisch knapp neben dem Büfett ihr Telefon zum Ohr und blickt suchend um sich.
Die übrigen Einträge » Sascha«, was nur der Sohn sein kann, und zwei namenlose Rufnummern führen, wie die bereits probierte » Paula«, zu keiner Reaktion im Speisesaal. Paula ist die letzte von August-David Friedmann gewählte Nummer.
In der Liste der angenommenen Anrufe stehen neben den bekannten Namen drei weitere: eine Luise, ein Hans und ein Benedikt. Luise ist der vorletzte angenommene Anruf auf diesem Mobiltelefon, eine namenlose Nummer der letzte.
»Hat er ganz schön stattliche Menge an Damen in seine
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