Der Metzger geht fremd
man allein hinaufkann, von da sollte man auch wieder allein hinunterkönnen!«, wurde dem kleinen Willibald einst so hilfreich von seinem Vater nahegelegt, wie ihm da jammernd auf einem Ast in väterlicher Augenhöhe die Erkenntnis eingeschossen ist, dass er ja wieder retour müsse. Ohne den Finger zu rühren, hat ihm sein Vater dann mit regungsloser Miene zugesehen: beim unentschlossenen Herumgreifen am Stamm, beim Sitzwechsel von der rechten auf die linke Arschbacke, beim verzweifelten Suchen nach einem Auftritt, beim brüllenden Auftritt in der Rolle des Vogeljungen beim ersten Flugversuch.
»So geht's auch!«, waren dann die tröstenden väterlichen Worte, während sich der unsanft gelandete Willibald immer noch brüllend am Boden krümmte. »Hör auf zu flennen. Is ja nix passiert!«
Genug ist passiert, weiß der Metzger heute, und er weiß deshalb auch: »Wo man allein hinunterkommt, muss man auch wieder allein hinaufkommen!« Mit der Hilfe seines Vaters, vor allem nach dessen eigenem Absturz im Anschluss an die Scheidung seiner Eltern, hat der Metzger nicht mehr gerechnet. Trotzdem würde er niemals, obwohl es zuträfe, seinen Kindern, wenn er welche hätte, predigen: »Das hab ich mir alles allein aufgebaut!«
Heute baut ihn die schöne Nachmittagssonne auf, die frische Luft und der wolkenlose Himmel. Weit und breit kein Unwetter in Sicht, schwül ist es auch nicht, da radelt es sich schon um einiges leichter. Vorbei an der Stelle des gestrigen Gewittereinbruchs, vorbei an denselben unbeeindruckten Kühen, vorbei an dem wunderbaren allein – stehenden Bankerl ein Stückchen oberhalb der Straße, mit kleinem Marterl und wahrscheinlich fulminantem Blick über das Tal.
Gerade mal hundert Meter weiter zeigt nun die Straße erstmals eine deutlich erkennbare Steigung, wobei dem Willibald bisher die nicht erkennbare auch schon ganz schön zu schaffen gemacht hat. Die Aussicht auf das mühevolle Bergauf kann klarerweise mit der möglichen Aussicht von der Bank rechts oben nicht mithalten. Außerdem hab ich mir eine Pause verdient, denkt sich der Metzger, bleibt stehen, wirft das Rad in die Wiese, nimmt sein Jackett vom Gepäckträger herunter und schleppt sich das Stückchen Berg hinauf. Und wieder Kühe, natürlich mechanisch vor sich hin kauende Kühe. Gras fressendes Getier kann beim Metzger normalerweise keinen Appetit auslösen, obwohl es von ihm selbst gern medium, durch, geschnetzelt oder faschiert verspeist wird. Wem läuft auch schon beim Anblick eines lebendigen Rindviehs das Wasser im Mund zusammen? Heute allerdings schaut er den Kühen beim Kauen zu, und ihm knurrt der Magen. Kein Wunder, schließlich hat der Metzger vor allem Erlebnisse konsumiert, die den Magen nicht füllen, sondern auf denselben schlagen.
Keuchend erreicht er die etwas verdreckte Bank, breitet sein Jackett aus und setzt sich hin. Hin stimmt dann auch wirklich. Denn der Widerstand des seltsam nachgebenden Etwas unter seinem Hintern fällt in Anbetracht der darauf einwirkenden Masse eher marginal aus. Ein wenig knirscht es, dann sitzt er, der Metzger, und das Ding ist hin. Hin, aber nicht hinüber. Um hinüber zu sein, hätte es nicht länger als drei Minuten gekocht werden dürfen. Was für ein Segen, denkt sich Willibald Adrian Metzger, was für ein kleines Wunder! Fürsorglich lächelnd blickt ihm ein farbenfroh gemalter Jesus mit ausgebreiteten Armen aus dem Marterl entgegen, und wüsste er es nicht besser, am liebsten würde er sich bei ihm bedanken. »Wahrscheinlich lachst du nur so, weil ich mich bei wem ganz anderen bedanken muss«, startet der Metzger einen Gesprächsversuch. In diesem Fall jedoch sind die Dinge selbstredend. Bedächtig packt es der Metzger aus, das Hackenberger-Lunchpaket. Anfangs schämt er sich ein wenig für seine morgendliche Überheblichkeit angesichts der Eiübergabe. Wie er dann jedoch das Stanniol auswickelt, schämt er sich gewaltig. Ein wunderbares Stück geselchter Karreespeck. Heilige Regina, geht es dem Metzger durch den Kopf. Ein Rückenstück vom Schlachtvieh als Auslöser einer Heiligsprechung, halleluja.
Er bröselt sich die verwertbaren Eireste auf ein Schwarzbrot, beißt vom Speck ab und stellt fest, um was für Klassen ein Essen besser wird, wenn die Umgebung stimmt und Besteck abkömmlich ist. Glücklich kaut er vor sich hin, ganz den Kühen gleich, denen das natürlich gleich ist, freut sich, auch weil die Aussicht ganz den Erwartungen entspricht, atmet tief durch und lässt den
Weitere Kostenlose Bücher