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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Friedmann junior diese grauenvolle Schilderung wert. Obwohl die plötzliche Erstarrung in seinem Gesicht doch auch als eine Art Reaktion gewertet werden könnte. Der Metzger beschließt, nicht genau den Fehler zu begehen, den die meisten Menschen, die auf engem Raum mit einem zweiten zusammenkommen, beispielsweise dem Ehepartner, zur hohen Kunst entwickeln: ja nicht die Themen anzusprechen, die offenkundig in der Luft liegen.
    »Ist alles in Ordnung, Herr Friedmann?«
    »Ja, alles in Ordnung!«
    Das war ja auch nicht anders zu erwarten!, denkt sich der Metzger. Trotzdem, er hat mit seiner Frage etwas bewegt, denn allzu oft wurde dem Mann hinterm Steuer die Frage »Alles in Ordnung?« noch nicht gestellt – nicht zu reden von der dahintersteckenden Botschaft: Fürsorge.
    »Die Fragen, die ein Mensch stellt, erzählen mehr von ihm als seine Antworten«, hat die Metzger-Mama immer gemeint.
    »Ein großes Auto haben Sie!«, stellt der Willibald fest, um thematisch ein wenig vom Anzböck wegzukommen.
    Und er erhält sogar eine Antwort: »Ja, ich helf aus, wenn bei uns in der Gegend wo Not am Mann ist.«
    »Aha, wie kann man sich das vorstellen?«
    »Reparaturarbeiten, Transporte, Handwerkliches, Schlachtungen, Arbeiten mit Holz, was halt so anfällt. Am liebsten im Wald oder beim Hausbau. Da ist ein großes Auto nicht schlecht«, und während er das erzählt, schaut er schon wieder deutlich zufriedener drein, der Friedmann junior.
    »Was für ein vielseitiger Beruf! Da kommen Sie sicher ganz schön viel herum!«
    »Nein, nur bei uns in der Gegend. Mein Beruf ist« -eine kurze Denkpause wird eingeschoben –, »eigentlich arbeite ich daheim am Hof. Und da am liebsten draußen. Den Forst betreuen, das ist meins!«
    »Da haben Sie recht. Arbeiten mit Holz, was gibt es Schöneres? Ich bin übrigens Restaurator!«
    »Restaurator?«
    Was kommt jetzt?, denkt sich der Metzger.
    »Das heißt, Sie nehmen alte Möbel?«
    »Ja, unter anderem, nehmen und wieder herrichten!«
    »Da hätte ich was für Sie!«
    »Was und wie alt?«
    »Ein Tisch und Sessel. Schaut alt aus, nicht schäbig, sondern alt halt, vom Stil. Großvater will das Zeug loswerden, das steht nur herum. Können Sie haben, wenn Sie wollen. Natürlich umsonst.«
    Das hat der Metzger schon sehr oft erlebt, dass er seine Berufsbezeichnung angibt und mit einem Wohnungsräumer oder Trödelladen verwechselt wird. Früher hat ihn das in seiner Berufsehre schwer getroffen, bis er eines Tages vor der Werkstatt zusammen mit Petar Wollnar eine Jugendstilvitrine aus Mahagoni – da hätte Prof. Dr. Berthold seine Freude – in den Pritschenwagen laden musste und von einem gerade vorbeigehenden Passanten wegen einer Räumung angesprochen wurde. Petar Wollnar spricht selten. Der Metzger hatte gerade Nein gesagt, da sind dem Wollnar unerwartet dann doch verhältnismäßig viele Sätze herausgerutscht: »Warten Sie!«, war der erste, dann wurde der Metzger am Ärmel hinter das Auto gezogen und bekam die weiteren serviert: »Wenn du nicht räumst, räum ich! Ist das beste Revier, um an Menschen zu kommen mit wenig Ahnung und vielen Schätzen. Zu dir kommen nämlich nur welche mit viel Ahnung und wenig Schätzen, und nur selten schätzen sie deine Arbeit!«
    Das hat gesessen. Seither sitzt der Metzger im Wohnzimmer in seinem Chesterfieldsofa, sieht ihn noch, den Ikea-Katalog am Fußboden dieser Kundschaft, und hört sie noch, die Worte: »Das muss raus, unbedingt!«
    »Kein Problem!«, hat er gesagt, der Willibald.
    »Kein Problem!«, sagt er auch jetzt. »Ich seh's mir an.«
    Zu sehen wird er da so einiges bekommen, der Metzger.
    In gewohnter Stille geht die kurze und überraschend beherrschte Fahrt weiter, und wie schließlich hinter der Kuppe des Schotterwegs die Lichter der Pension Regina aufleuchten, hört er sie, der Metzger, die inneren Stimmen des verlogenen Stolzes und enttäuschten Ehrgeizes: »Na, weit wäre das ja wirklich nicht mehr gewesen, das hätten wir hundertprozentig auch allein geschafft!«
    Beim Aussteigen bricht dann der Metzger höchstpersönlich das Schweigen: »Jetzt trinken wir gemeinsam eine Flasche Wein auf der Terrasse, was halten Sie davon? Zum Tagesausklang. Ich hab da einen wirklich guten Tropfen Roten mit!«
    Ein Begeisterungssturm ist es nicht, der ihm da entgegenschlägt: »Tagesausklang – aha!«
    »In einer halben Stunde?«
    »Gut«, antwortet Herr Friedmann, ohne sich eine Gefühlsregung anmerken zu lassen. Trotzdem, da ist wieder eine

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